smarter medicine: Empfehlungen COVID-19
Vernünftiger Umgang mit begrenzten Ressourcen

smarter medicine: Empfehlungen COVID-19

Aktuell
Ausgabe
2020/1718
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08514
Swiss Med Forum. 2020;20(1718):278-279

Publiziert am 21.04.2020

Die COVID-19-Pandemie ist eine beispiellose Herausforderung für die Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt. Mehr denn je ist Allokation von Ressourcen von entscheidender Bedeutung.

Empfehlungen für die Bevölkerung

1. Gehen Sie nicht ohne guten Grund aus dem Haus. Halten Sie einen Sicherheitsabstand (2 m) zu anderen Personen ein und befolgen Sie die Anweisungen Ihrer nationalen und lokalen Gesundheitsbehörden.

Körperliche Distanz und Händewaschen sind die wirksamsten Mittel, um die Ausbreitung von COVID-19 zu bremsen. Menschenmassen, unnötige Reisen und Zusammenkünfte sollen vermieden werden. Man sollte wenn möglich nur für den Besuch von Lebensmittel­geschäften, Gesundheitseinrichtungen oder für andere unabdingbare Ortswechsel das Haus verlassen. [1]

2. Gehen Sie nicht ohne telefonische Voranmeldung zu Routine­kontrollen oder -behandlungen (Vorsorgeuntersuchungen, routinemässige Blutuntersuchungen) oder für elektive Behandlungen in ein Spital, eine Klinik oder eine Hausarztpraxis.

Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen legen fest, welche Versorgung weitergeführt werden muss und was gefahrlos verschoben werden kann. Manche Routineuntersuchungen oder -behandlungen sind möglicherweise nicht unmittelbar notwendig, wenn eine Person keine Symptome oder Risiken aufweist, während andere unverzüglich vorzunehmen sind. Betroffene sollten sich von ihrem Grundversorger berateln lassen, auch telefonisch. [2, 3]

3. Melden Sie sich nicht aufgrund von leichten COVID-19-Symptomen direkt in der Notaufnahme. Wählen Sie, wenn möglich, digitale Tools oder Testzentren.

Personen mit leichter zu COVID-19 passender Symptomatik sollten sich nicht für einen Coronavirus-Test ­direkt in die Notaufnahme begeben. Online-Selbst­bewertungstools und spezielle Testzentren können ­Betroffenen helfen, zu entscheiden, an wen sie sich gegebenenfalls wenden sollen. [2, 4, 5]

4. Nicht zugelassene Mittel zur Vorbeugung oder Behandlung von COVID-19 sollten Sie sich nicht selber verschreiben oder verlangen.

Zurzeit gibt es keine anerkannten Impfstoffe, Medikamente oder Naturheilmittel zur Behandlung oder ­Prävention von COVID-19. Der Einsatz von Medikamenten, die nicht auf fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, könnte Patientinnen und Patienten ernsthaften Nebenwirkungen aussetzen und zu Engpässen führen. [6, 7]

Was ist die smarter-medicine-Kampagne?


smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland knüpft an die erfolgreiche amerikanische Initiative «Choosing Wisely» an, die zum Ziel hat, nicht nur «kluge Entscheidungen» herbeizuführen, sondern auch die offene Diskussion zwischen Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zu fördern.

Empfehlungen für Gesundheitsfach­personen

5. Erbringen Sie – sofern möglich und sinnvoll – Patientenberatungen nicht persönlich, falls virtuelle Mittel wie Telefon- oder Online-Konsultationen zur Verfügung stehen. Elektive Konsultationen und Laboruntersuchungen können gegebenenfalls auch verschoben werden.

In gewissen Fällen wird auch die Telemedizin den Bedürfnissen der Patienten gerecht. Die Kontinuität der Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen muss aber gewährleistet bleiben. [8, 9]

6. Verlegen Sie gebrechliche Bewohner von Pflegeheimen nicht in ein Spital, es sei denn, ihre dringenden pflegerischen und medizinischen Bedürfnisse können vor Ort nicht mehr erfüllt werden.

Gebrechliche ältere Patienten sind anfällig für noso­komiale Infektionen, unerwünschte Arznei­mittel­wirkungen, Schlafstörungen oder raschen Muskelschwund während erzwungener Bettruhe. Die Risiken überwiegen oft die Vorteile. Wenn eine Verlegung unvermeidlich ist, sollten dem Spital im voraus klare Informationen über eine allfällig vorhandene Patien­ten­ver­fügung übermittelt werden. [10, 11]

7. Verordnen Sie die Transfusion von Erythro­zytenkonzentraten nicht allein aufgrund eines Hämoglobinwerts. Verabreichen Sie immer nur eine Transfusion und beurteilen Sie dann neu.

Gemäss mehreren Empfehlungen von Choosing Wisely werden Erythrozytentransfusionen zu oft ver­wendet. Bei Patienten ohne Blutung mit einem Hämoglobinwert unter 70–80 g/L (7–8 g/dL) ist die Verabreichung einer einzigen Transfusion oft besser. Es ist sehr wichtig, die Blutversorgung während der COVID-19-Pandemie aufrechtzuerhalten. [12, 13]

8. Intubieren Sie ältere und gebrechliche Patienten nicht, ohne mit ihren Angehörigen, falls vorhanden, eine etwaige Patientenver­fügung zu diskutieren.

Während der COVID-19-Pandemie müssen solche Entscheidungen oft in grosser Eile gefällt werden, idealerweise basierend auf einer Vordiskussion. Gebrechliche ältere Patienten, die so krank sind, dass sie intubiert werden müssen ­(COVID-19 eingeschlossen), haben sehr geringe Über­lebensschancen und danach voraussichtlich eine stark verschlechterte Lebensqualität. Frühzeitige Gespräche mit Patienten und Angehörigen helfen, übereilte Entscheidungen zu vermeiden, die möglicherweise nicht den Patientenwünschen entsprechen. [14]

9. Verschreiben Sie bei COVID-19-Patienten keine experimentellen Therapien, ausser im Rahmen von bewilligten klinischen Studien.

Es gibt keinen formellen Konsens unter den Fachleuten über die Behandlung von COVID-19, und die Evidenz ändert sich fortlaufend. Behandlung von Pa­tienten ausserhalb von klinischen Studien vermindert unsere kollektive Fähigkeit, die Wirksamkeit von Behandlungen wissenschaftlich zu überprüfen, und setzt die behandelten Personen einem Risiko von Neben­wirkungen durch nicht zugelassene Medikamente aus. ­Dokumentierte «compassionate use»-Ansätze können manchenorts akzeptabel sein. [15, 16]

Wie diese Liste entstanden ist


Eine Liste mit möglichen Empfehlungen wurde aus den laufenden Initiativen zur Bekämpfung von COVID-19 zusammengestellt. Der Entwurf der potenziellen Elemente wurde von Mitgliedern von Choosing Wisely in Zusammenarbeit mit Fachärzten verschiedener Fachrichtungen, Patientenvertretern und Meinungsführern der internationalen Choosing-Wisely-Gemeinschaft entwickelt. Eine Umfrage mit der vollständigen Liste von Empfehlungen wurde dann an 293 Verantwortliche medizinischer Organisationen, an die Choosing-Wisely-Verantwortlichen in ­Kanada und an alle Mitglieder der internationalen Choo­sing-Wisely-Gemeinschaft geschickt. Die Rücklaufquote der 4-tägigen Umfrage betrug 55%, und alle Aussagen erhielten eine Zustimmung (4 oder 5 auf einer 5-Punkte-Likert-Skala) von 83% bis 98%. Vorschläge wurden berücksichtigt. Diese Liste soll häufig aktualisiert werden, wenn im Rahmen der ­COVID-19-Pandemie neue Erkenntnisse verfügbar werden. Diese Liste ist als Informationhilfe gedacht und stellt keinen Ersatz für medizinische Beratung oder Behandlung dar. Patienten sollten ihre Ärzte oder die örtliche Gesundheitsbehörde konsultieren, bevor sie medizinische Entscheidungen bezüglich COVID-19 treffen. – Letzte Aktualisierung: 1. April 2020.
 1 World Health Organization. Coronavirus disease (COVID-19) advice for the public. https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/advice-for-public
 2 Lin M, Beliavsky A, Katz K, Powis JE, Ng W, Williams V, et al. What can early Canadian experience screening for COVID-19 teach us about how to prepare for a pandemic? CMAJ. 2020 Mar 6 [Epub ahead of print].
 3 Association médicale canadienne. Gestion de votre cabinet durant la pandémie de COVID-19. https://www.cma.ca/fr/gestion-de-votre-cabinet-durant-la-pandemie-de-covid-19
 5 Greenhalgh T, Koh GCH, Car J. Covid-19: a remote assessment in primary care. BMJ. 2020;368:m1182.
 6 Centers for Disease Control and Prevention. Information for clinicians on therapeutic options for COVID-19 patients. https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/hcp/therapeutic-options.html
 7 Agence de la santé publique du canada. Maladie à coronavirus (COVID-19): symptômes et traitement. https://www.canada.ca/fr/sante-publique/services/maladies/2019-nouveau-coronavirus/symptomes.html
 9 World Health Organization. COVID-19: Operational guidance for maintaining essential health services during an outbreak. https://www.who.int/publications-detail/covid-19-operational-guidance-for-maintaining-essential-health-services-during-an-outbreak
10 Shepperd S, Iliffe S, Doll HA, Clarke MJ, Kalra L, Wilson AD, Gonçalves-Bradley DC. Admission avoidance hospital at home. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2016(9):CD007491.
11 World Health Organization. Infection prevention and control guidance for long-term care facilities in the context of COVID-19. https://apps.who.int/iris/handle/10665/331508
12 Choisir avec soin. Trousse à outils: Pourquoi deux produits quand un seul suffit? https://choisiravecsoin.org/perspective/pourquoi-deux-produits-quand-un-seul-suffit/
13 Pagano MB, Hess JR, Tsang HC, Staley E, Gernsheimer T, Sen N, et al. Prepare to adapt: Blood supply and transfusion support during the first 2 weeks of the 2019 Novel Coronavirus (COVID-19) pandemic affecting Washington State. Transfusion. 2020 Mar 21 [Epub ahead of print].
15 Kalil A. Treating COVID-19 – off-label drug use, compassionate use, and randomized clinical trials during pandemics. JAMA. 2020 Mar 24 [Epub ahead of print].