Ende 2019 trat in Wuhan, China, eine Infektionskrankheit mit Lungenentzündung und akuter Atemnot auf, die durch ein neuartiges Coronavirus (SARS-CoV-2), hervorgerufen wurde [31]. Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization) gab der damit assoziierten Krankheit den Namen Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) [48]. Das Coronavirus verbreitete sich schnell über die ganze Welt und führte so zu der größten Pandemie des frühen 21. Jahrhunderts [31].

Trotz der häufigen asymptomatischen und leichten Verläufe der Infektion mit grippeartigen Symptomen wie Fieber, Müdigkeit und Husten musste ein ernstzunehmender Prozentsatz an schweren Verläufen mit Schwerpunkt auf Atemwegskomplikationen – einschließlich die des Todes – festgestellt werden [3, 19, 31]. Eine kritische Erkrankung ist durch eine Dysfunktion mehrerer Körperorgane gekennzeichnet, einschließlich Atemfunktionen, neurologische Dysfunktion, kardiale Dysfunktion, Schock, Nierenversagen, Leberschäden und Stoffwechselstörungen [20]. Die Sterblichkeitsrate ist bei Älteren und bei solchen mit Komorbiditäten höher [12].

In den letzten Monaten konnten mit Hilfe einiger multizentrischer, meist retrospektiver Kohortenstudien, Review-Arbeiten und Metaanalysen die Erkenntnisse über die neurologischen Manifestationen einer COVID-19-Erkrankung aus ersten Berichten einzelner Fallstudien, Fallserien und Fall-Kontroll-Studien zu Beginn der COVID-19-Pandemie vertieft werden [24, 36, 38, 42, 49, 51]. Es wurde deutlich, dass eine COVID-19-Infektion von einer breiten Palette neurologischer und neuropsychiatrischer Symptome begleitet werden kann, die von häufigen Symptomen wie Müdigkeit und Anosmie bis hin zu selteneren, aber schweren neurologischen Erkrankungen wie Enzephalopathie und Schlaganfall reichen [22, 24, 51].

Neurologische Manifestation einer COVID-19-Erkrankung

Im Zusammenhang mit COVID-19 wurden neurologische und neuropsychiatrische Manifestationen unterschiedlichen Schweregrades mit einer Prävalenz von bis zu 57,4 % beschrieben [22, 24, 36, 38, 39, 51]. Einer der aktuellsten und größten Review-Studien zufolge hatte ca. ein Drittel eines Kollektivs aus 145.634 zumeist hospitalisierten COVID-19-Patienten im Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung mindestens ein neurologisches/neuropsychiatrisches Symptom oder eine entsprechende Diagnose [24]. Die Heterogenität der klinischen Manifestationen ist hoch [17, 24, 51]. In ihrer Diversität wurden die neurologischen und neuropsychiatrischen Symptome und Krankheitsbilder wie folgt unterteilt [24]:

  1. 1.

    unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Schwindel, Müdigkeit

  2. 2.

    neuropsychiatrische Symptome wie Angst, Depression und Psychose

  3. 3.

    Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Neuropathie der Hirnnerven (Anosmie/Dysgeusie werden hier mit eingeschlossen), Enzephalopathie, zerebrovaskuläre Erkrankung, Enzephalitis, akute demyelinisierende Erkrankung wie ADEM, Myelopathie

  4. 4.

    Erkrankungen des peripheren Nervensystems wie Guillain-Barré-Syndrom und Varianten

  5. 5.

    muskuloskeletale Symptome wie Myalgie

Den bisherigen Review-Arbeiten und Metaanalysen zu Folge gehören unspezifische Symptome (Müdigkeit und Kopfschmerzen), Geruchs- und Geschmacksstörungen und Myalgie meist zu den am häufigsten detektierten Beschweren [24, 38]. Schwerwiegendere neurologische Komplikationen wie Schlaganfall nehmen hingegen nur einen geringen Anteil ein [24, 41, 51]. Die Prävalenz einer neurologischen Erkrankung wurde in der älteren Bevölkerungsschicht (> 50 Jahre) bisher höher detektiert [22, 24, 42]. Im Vergleich zu jüngeren COVID-19-Patienten werden hier z. B. Symptome eines Delirs bei ca. 34 % beobachtet [24]. Da die meisten Studien bislang vornehmlich hospitalisierte, ältere COVID-19-Patienten einschlossen, ist die Erfassung der epidemiologischen Datenlage noch nicht abgeschlossen [22, 24, 42]. In der jüngeren Bevölkerungsschicht werden meist eher unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen beobachtet (10 % im Vergleich zu 5 % bei > 50-Jährigen; [24]).

Unspezifische neurologische/neuropsychiatrische Symptome

Frühe chinesische Studien berichteten von einer relativ geringen Prävalenz (12–15 %) von Kopfschmerzen im Zusammenhang mit COVID-19 [33]. Folgende aktuelle multizentrische Kohortenstudien, Review-Arbeiten und Metaanalysen gaben Prävalenzwerte zwischen 12 % und 37 % an [9, 24, 33, 38]. Auch wenn Misra et al. in der derzeit größten Review-Arbeit eine höhere Prävalenz für Kopfschmerzen bei nichthospitalisierten < 50-Jährigen angaben [24], lag das Durchschnittsalter bei vielen anderen Studien, darunter Reviews und Metaanalysen meist zwischen 50 und 60 Jahren. Männer waren etwas häufiger betroffen (zwischen 50 und 60 %; Gonzalez-Martinez A et al. 2021; [14, 38]). Der Kopfschmerzcharakter war bei 94 % von drückender Qualität [14].

Die Angaben der Prävalenzwerte weiterer diverser neurologischer und neuropsychiatrischer Symptome, welche mit einer COVID-19-Erkrankung einhergingen, variierten in den einzelnen Studien teils erheblich [51]. Symptome mit Prävalenzwerten aus einer großen Review-Studie und Metaanalyse sind als Beispiel im Folgenden genannt: Schwäche (40,0 %; 95 % Konfidenzintervall [KI] 27,9–53,5 %; n = 221,3 Studien), Müdigkeit (37,8 %; 95 % KI 31,6–44,4 %; n = 21.101, 67 Studien), Depression (23,0 %; 95 % KI 11,8–40,2 %; n = 43.128, 10 Studien), Angstzustände (15,9 %; 95 % KI 5,6–37,7 %; n = 42.566, 9 Studien) und veränderter mentaler Status (8,2 %; 95 % KI 4,4–14,8 %; n = 49.326, 19 Studien). Schwindel und Schlafstörungen wurden mit einer Prävalenz von 16,8 % angegeben [38]. In der Review-Arbeit mit Metaanalyse beschrieben Yassin et al. für Schwindel eine Prävalenz von 11,3 (95 % KI 8,5–15,0 %; [51]). Eine andere große aktuelle Review-Arbeit mit Metaanalyse stellte für COVID-19-Patienten ähnliche Ergebnisse heraus [24].

Subgruppenanalysen legten nahe, dass das Studiendesign (prospektiv vs. retrospektiv), die Schwere der Erkrankung und das Herkunftsland einer Studie diese Werte beeinflussten. Die Prävalenzen für Myalgie, Müdigkeit, Anosmie und Dysgeusie fielen beispielsweise in prospektiven Studien im Vergleich zu retrospektiven Studien wesentlich höher aus, was die Zunahme der Prävalenzzahlen im Vergleich zu früheren Review-Arbeiten erklären kann [51].

Erkrankungen des zentralen Nervensystems

Störungen der Chemosensorik

Schon zu Beginn der Pandemie stellte man fest, dass eine Infektion mit SARS-CoV‑2 häufig zu gustatorischen und olfaktorischen Dysfunktionen führt.

In China stellten Mao und Kollegen in einer frühen retrospektiven Studie bei 214 COVID-19-positiven hospitalisierten Patienten eine Anosmie zu 5,1 % und eine Ageusie zu 5,6 % fest [22]. Die meisten Folgestudien, hierunter nun auch größere Review- und Metaanalysen, detektierten Prävalenzwerte zwischen 18 % und 71 % [6, 9, 24, 38, 44, 51]. Geruchsstörungen (50 %) und Geschmacksstörungen (44 %) waren häufiger bei nichthospitalisierten COVID-19-Patienten zu finden [24]. Dies mag einerseits an präexistierenden Geruchsstörungen bei älteren Patienten liegen oder auch an der Tatsache, dass ältere Patienten häufiger mit schwerwiegenden Symptomen hospitalisiert wurden und unspezifische Symptome weniger erfasst wurden [18, 24].

Die Geruchs- und Geschmacksstörungen traten auch signifikant häufiger auf als bei Influenzapatienten [26]. Den derzeitigen Leitlinien zufolge ist während der Pandemie eine plötzlich neu aufgetretene Riechstörung bei freier Nasenatmung, insbesondere wenn den typischen Symptomen Fieber und Husten tatsächlich eine Anosmie vorausgeht, wahrscheinlich Ausdruck einer Infektion mit SARS-CoV‑2 [16].

Die Patienten berichteten in der Regel über ein plötzliches Auftreten der Beschwerden ohne weitere typische Symptome einer Atemwegsinfektion wie Schnupfen oder sonstige Ursachen einer blockierten Nasenatmung, wie sie z. B. im Rahmen einer Allergie auftreten [44]. In 20 % der Fälle folgten auf eine Dysosmie oder -geusie weitere Symptome, in 28 % der Fälle begleiteten Dysosmie oder -geusie andere COVID-19-typische Symptome oder Erkrankungen [6]. Die Erstmanifestation einer Dysosmie oder -geusie wird meist nach dem 4. oder 5. Tag nach ersten COVID-19-typischen Symptomen wie Fieber und Husten beobachtet. Nach 1–2 Wochen klingen die Beschwerden im Regelfall wieder ab [40]. Eine andere Studie mit einem längeren Nachbeobachtungszeitraum berichtet über eine Auflösungsrate am Tag 30 bei COVID-19-Patienten in häuslicher Quarantäne von 87 % für olfaktorische Dysfunktion und 82 % für gustatorische Dysfunktion [28]. Eine weitere aktuelle Studie berichtete über eine beinah vollständige Rückbildung der Geruchs- und Geschmacksstörungen nach einem Jahr [35]. Magnetresonanztomographie(MRT)-Untersuchungen stellten in manchen Fällen eine Atrophie und T2-Signalerhöhung im Riechkolben fest, die ebenso wie die Symptome der meisten Patienten rückläufig waren [1, 34].

Enzephalopathie

Als Enzephalopathie wird ein klinisches Erkrankungsbild verstanden, welches sich meist mit einer Kombination aus akuten Aufmerksamkeits‑, Bewusstseins- und Kognitionsstörungen, mit Delir oder Psychose manifestiert [47]. Bereits erste retrospektive Studien aus der Stadt Wuhan vermerkten Bewusstseinsstörungen (7,5 %) und Verwirrtheit (9 %) zu den häufigen neurologischen Komplikationen bei hospitalisierten COVD-19-Patienten [8]. Multizentrische Kohortenstudien erfassten im Verlauf schließlich einen deutlich höheren Anteil (24–69 %) der hospitalisierten COVID-19-Patienten, bei denen eine akute Enzephalopathie diagnostiziert worden war (Chou S et al. 2021). Yassin et al. detektierten in ihrer aktuellen Review- und Metaanalyse bei 13.480 COVID-19-Patienten eine Enzephalopathieprävalenz von 9,4 % (95 % KI 2,8–26,6 %; [51]). Für Koma wurde bislang eine Prävalenz von 10–17 % genannt (Chou S et al. 2021). Die Unterschiede der Prävalenzwerte werden u. a. der hohen Heterogenität der Präsentationen einer Enzephalopathie zugeschrieben, was eine Auswertung der tatsächlichen Prävalenz erschwert [51]. Die Prävalenz akuter Enzephalopathie stieg mit dem Alter von 33 % bei Patienten unter 40 Jahren auf 74 % bei Patienten über 80 Jahren [51]. Gerade bei schweren Verläufen stieg die Prävalenz einer Enzephalopathie. Enzephalopathien zeigen eine klare Assoziation mit höherer Morbidität und Mortalität [51].

Zerebrovaskuläre Erkrankungen

Durch diverse Studien mit variablem Design, Stichprobenverfahren und Falldefinitionen entstand eine große Bandbreite COVID-19-assoziierter Schlaganfallprävalenzen von 0,9 bis 46 % [9, 25, 38, 51]. Ein Grund für die große Bandbreite mag in den teils unterschiedlichen Patientenkollektiven liegen [24].

Verglichen mit der Prävalenzrate bei COVID-19-assoziierten Schlaganfällen (1,2 %) wurden in einer retrospektiven Kohortenstudie bei 1486 hospitalisierten Influenzapatienten nur 0,2 % ischämische Infarkte detektiert, selbst nach Anpassung an sozioökonomische Faktoren [23].

Die Mehrheit der Schlaganfälle war ischämischer Genese mit dem Nachweis von Verschlüssen sowohl zentraler hirnversorgender Arterien als auch kleiner Arterien im Endstromgebiet [25]. Das Verhältnis von ischämischen Schlaganfällen zu hämorrhagischen Schlaganfällen unter COVID-19-Erkrankung liegt nach derzeitigen Erkenntnissen bei circa 7:1 [5]. Eine sehr kleine amerikanische Fallserie berichtete zwar über ischämische Schlaganfälle in großen Gefäßen bei 5 COVID-19-Patienten unter 50 Jahren, von denen 4 keinen Schlaganfall in der Vorgeschichte hatten und 2 keinerlei kardiovaskuläre Risikofaktoren [27], das übliche Patientenkollektiv der bisherigen Studien bestand jedoch meist aus älteren Patienten mit einem kardiovaskulären Risikoprofil.

Abgesehen von hämorrhagischen Schlaganfällen im Sinne intrazerebraler Makroblutungen, seien ebenfalls Mikroblutungen genannt, die in Neuroimaging-Studien erfasst wurden [1, 34]. Ob diese jedoch tatsächlich COVID-19-assoziiert waren oder schon vorbestanden, kann derzeit bei fehlender Studienlage nicht beantwortet werden [1].

Derzeit ist es noch unklar, wie viel SARS-CoV-2-Infektionen bei Begleiterkrankungen in der betroffenen Patientenpopulation zur Prävalenz von Schlaganfällen beitragen (Chou S et al. 2021).

In vereinzelten Fällen wurden auch Sinusvenenthrombosen im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung erfasst [2]. Patienten mit zerebrovaskulären Erkrankungen in der Anamnese sowie auch zerebrovaskulären Komplikationen im Verlauf einer COVID-19-Erkrankungen haben ein höheres Risiko für einen schwereren Verlauf (Chou S et al. 2021).

Entzündliche/inflammatorische Erkrankungen

Meningitis und Enzephalitis im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung wurden sehr selten beobachtet (0,5 %) [43]. Eine Review-Arbeit, die alle COVID-19-assoziierten radiologisch und/oder laborchemisch bestätigten Enzephalitisfälle im Zeitraum zwischen November 2019 und Oktober 2020 analysierte, berichtete über eine Prävalenz für Enzephalitis von 0,215 % (95 % KI 0,056–0,441) [43]. Das Risiko, eine Enzephalitis zu entwickeln, war bei Patienten mit schwerem Verlauf einer COVID-19-Erkrankung höher. Durchschnittlich trat die Enzephalitis 14,5 Tage nach der Diagnose einer COVID-19-Infektion auf. Die durchschnittliche Mortalitätsrate betrug für COVID-19-assoziierte Enzephalitis 13,4 % (95 % KI 3,8–25,9) [43].n

Das Spektrum gemeldeter Fälle erstreckt sich von einer Enzephalitis, die häufig im Temporallappen lokalisiert ist, über akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM), akuter nekrotisierender Enzephalitis oder auch Myelitis [1, 34]. Ein negativer Liquorbefund und bildmorphologischer MRT-Befund schließen die Diagnose nicht aus [1, 34].

Erkrankungen des peripheren Nervensystems

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS), eine akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuritis, wurde zu Beginn der Pandemie sporadisch erfasst. Eine aktuelle systematische Review-Arbeit und Metaanalyse beschrieb nun aus 7 Fallserien und 11 Kohortenstudien insgesamt eine Prävalenz für ein COVID-19-assoziiertes GBS von 0,15 % [29]. Diese ist höher als die bisherige für GBS gemessene Prävalenz. Insofern wird bei COVID-19-infizierten Patienten ein erhöhtes Risiko für GBS vermutet. Ob oder inwieweit das SARS-CoV-2-Virus tatsächlich für GBS verantwortlich ist, bleibt abzuwarten [29].

Eine dem GBS im klinischen Erscheinungsbild ähnliche Erkrankung, welche bei intensiv- und beatmungspflichtigen COVID-19-Patienten in manchen Fällen im Verlauf zu beobachten war, war die Critical-illness-Polyneuropathie- und Myopathie(CIPNM)-Syndrom. Risikofaktoren für CIPNM umfassten eine lange Dauer der mechanischen Beatmung, Hypoxie und Sepsis. Diese Folgen einer ausgedehnten Intensivpflege treten in der Regel später im Verlauf einer schweren Krankheit auf als bei GBS [7]. Der zugrunde liegende Mechanismus wird am ehesten auf das resultierende systemische Entzündungsreaktionssyndrom (SIRS) zurückgeführt und nicht direkt auf das Virus.

Muskuloskeletale Symptome

Zu den am häufigsten beschriebenen muskuloskeletalen Beschwerden im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion gehörten Myalgien mit Prävalenzwerten von 11 bis 26,1 %. [51]. Myalgische Beschwerden wurden häufiger bei hospitalisierten als bei nichthospitalisierten Patienten erfasst [24]. Alleinige Arthralgien im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung wurden in nur sehr wenigen Fällen beschrieben [10]. Chronische rheumatologische Erkrankungen wie Dermatomyositis oder rheumatoide Arthritis traten ebenfalls auf, wobei hier vielmehr eine Triggerung durch das SARS-CoV-2-Virus vermutet wird [37].

Eine präexistente neuromuskuläre Erkrankung scheint kein grundsätzlicher Risikofaktor für eine erhöhte Morbidität und Mortalität unter einer SARS-CoV-2-Infektion zu sein [5].

Prognose

Höheres Patientenalter, vorbestehende neurologische und nichtneurologische Komorbiditäten (z. B. arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Erkrankungen, Nierenerkrankung, Krebs) sowie eine schwere COVID-19-Erkrankung waren assoziiert mit einem erhöhten Risiko für schwere neurologische Komplikationen und eine höhere Krankenhausmortalität [21, 24, 42]. Inwieweit die schweren neurologischen Krankheitsbilder durch ein Multiorganversagen einer COVID-19-Erkrankung zuzuschreiben sind und inwieweit das Coronavirus dabei eine Rolle spielt, ist noch nicht abschließend geklärt. Darüber hinaus wiesen Patienten, die mit COVID-19 in Krankenhäusern ohne adäquate und ausreichende Möglichkeiten der Intensivbehandlung therapiert wurden, eine erhöhte neurologische Morbidität und Mortalität auf [33].

Langzeitfolgen

Im Verlauf der Pandemie wurden neben den akuten Manifestationen einer COVID-19-Infektion Symptome untersucht, die eine länger anhaltende chronische Verlaufsform der Erkrankung mit neurologischen/neuropsychiatrischen, pulmonalen, kardialen und gastrointestinalen Beschwerden vermuteten lassen [4]; Letztere werden hier nicht weiter ausgeführt. Das Post-COVID-19-Syndrom kann sich dabei als anhaltende COVID-19-Symptomatik (z. B. persistierende Dysosmie über Monate) oder neue meist unspezifische Symptomatik (z. B. Desorientiertheit, Konzentrationsschwäche) nach einer COVID-19-Infektion präsentieren ([4], 15).

In einer der ersten retrospektiven Kohortenstudie mit dem Thema Langzeitwirkung der COVID-19-Erkrankung, die auch mehrere Vergleichsgruppen miteinbezog, betrug bei 236.379 Patienten die geschätzte Prävalenz einer neurologischen (hierunter Schlaganfälle, Parkinson, Demenz) oder psychiatrischen Diagnose (wie Angststörungen) in den 6 Monaten nach ihrer COVID-19-Infektion 33,62 % (95 % KI 33,17–34,07); 12,84 % (12,36–13,33) erhielten ihre erste derartige Diagnose. Bei COVID-19-Patienten, die auf eine Intensivstation aufgenommen worden waren, war die Prävalenz jener untersuchten Erkrankungen höher [45].

Eine weitere aktuelle, jedoch nun prospektive Studie untersuchte 100 COVID-19-positiv getestete Probanden mit neurologischen Symptomen, welche länger als 6 Wochen persistierten. Jene waren nie wegen Lungenentzündung oder Luftnot ins Krankenhaus eingeliefert worden. Das durchschnittliche Alter des Kollektivs lag bei 43,2 ± 11,3 Jahren, 70 % waren weiblich. Die häufigsten Komorbiditäten waren Depression/Angst (42 %) und Autoimmunerkrankungen (16 %). Die häufigsten neurologischen Manifestationen waren Benommenheit (81 %), Kopfschmerzen (68 %), Taubheitsgefühl/Kribbeln (60 %), Dysgeusie (59 %), Anosmie (55 %) und Myalgien (55 %), Schwindel (47 %), Schmerzen (43 %), verschwommenes Sehen (30 %) und Tinnitus (29 %), 85 % litten unter Müdigkeit [46].

Neuropathogenese für akute neurologische Manifestationen der COVID-19-Erkrankung

SARS-CoV‑2, ein umhülltes einzelsträngiges RNA-Virus, kann nach dem heutigen Wissenstand über verschiedene Mechanismen in das Gehirn eindringen [17, 38]. Grundlage hierfür sind vermutlich die Angiotensin-Converting-Enzym-2-Rezeptoren (ACE2) beim Menschen, die nicht nur auf dem Epithel der oberen und unteren Atemwege, sondern auch auf dem Gefäßendothel anderer Organe wie Niere, Darm und ZNS exprimiert werden und den Eintritt von SARS-CoV‑2 in die Zelle vermitteln [17].

Als Hauptmechanismus wird derzeit angenommen, dass SARS-CoV‑2 über eine systemische vaskuläre Dissemination an die ACE2-Rezeptoren der kapillaren Endothelzellen des ZNS gelangt und diese infiziert. Die resultierende gestörte Blut-Hirn-Schranke und endotheliale Dysfunktion geht einher mit neuronalen Zellschäden und Neuroinflammation [4, 17, 38], welche eine Aggravation systemischer Pathomechanismen im ZNS, wie u. a. die Entstehung von Gefäßthrombosen, erleichtert.

Die virale Ausbreitung ist auch transnasal über den Riechnerv und Riechkolben vermutlich transsynaptisch von Neuron zu Neuron zu sekundären olfaktorischen Zentren, wie das limbische System, Basalganglien und Hirnstamm möglich [36, 38]. Das Virus wurde jedoch letztlich nur selten in den Neuronen des Riechkolbens nachgewiesen, sodass die olfaktorischen Bahnen vermutlich zumindest nicht den dominanten Infektionsweg darstellen [34]. Dies wird auch durch den Umstand bekräftigt, dass Anosmie meist allein oder mit wenigen anderen leichteren COVID-19-Symptomen auftritt. Die Analyse menschlicher Biopsieproben legt nahe, dass Anosmie hauptsächlich auf eine SARS-CoV-2-Infektion von Stützzellen des Riechepithels zurückzuführen ist, die zu lokalen Entzündungen und Funktionsstörungen der olfaktorischen Neuronen führen [36].

Die Ergebnisse einer elektronenmikroskopischen Autopsiestudie des gesamten Gehirns lassen insgesamt eher auf eine Infektion von vaskulären Endothelzellen als von Neuronen schließen [36]. Immunvermittelte entzündliche Schäden tragen wahrscheinlich mehr zu neurologischen Störungen bei als die virale Replikation innerhalb der Neuronen [21]. Dies mag den Umstand erklären, warum SARS-CoV‑2 nur selten aus Liquorproben isoliert werden konnte [4, 11, 17, 21].

Des Weiteren tragen wahrscheinlich die Komplikationen im Rahmen einer schweren SARS-CoV-2-Infektion wie das Lungenödem, das akute Atemnotsyndrom (ARDS), Sepsis und Hypoxie zu einer neuronalen Dysfunktion bei [21]. Hierdurch ausgelöste disseminierte Endothelzellentzündungen können zu sog. Zytokinstürmen führen, die wiederum u. a. zu einer Koagulopathie und Störung der Blut-Hirn-Schranke beitragen [14, 17, 21]. Prothrombotische Zustände nach Virusinfektionen, bei der eine Korrelation zwischen Entzündung und nachfolgender Koagulopathie vermutet wird, sind ebenfalls schon länger bekannt. Darüber hinaus kann die Prädisposition für Koagulopathie und thrombotische Ereignisse auch aus einer lang bestehenden Immobilität resultieren [21].

Die COVID-19-assoziierte Koagulopathie oder auch eine systemische Vaskulitis/Endotheliitis wird für zerebrale Gefäßkomplikationen wie Mikrothromben, Verschluss hirnversorgender Arterien, zerebrale Venenthrombose und intrazerebrale (Mikro‑)Blutungen oder fortschreitende periventrikuläre neuronale Demyelinisierungen verantwortlich gemacht, was durch die erhöhten Werte von Il‑6, Fibrinogen, D‑Dimer und C‑reaktivem Protein bei Patienten mit COVID-19-bedingten Schlaganfällen unterstrichen wird [17, 21, 38, 41]. Diese Mechanismen tragen vermutlich ebenfalls zur Entwicklung von Enzephalopathie, Delir und anderen auch subtileren neurologischen und neuropsychiatrischen Manifestationen einer SARS-CoV-2-Infektion bei [36]. In einer kürzlich veröffentlichen DTI-Studie von Yang et al. wurde eine Störung der Konnektivität der weißen zur grauen Substanz beobachtet [50]. Dies kann die Regulation von Bewusstsein und Kognition stören und möglicherweise zur Erklärung von Symptomen wie Verwirrtheit, Desorientierung, Erregung und Bewusstseinsverlust, kognitiven Beeinträchtigungen und Demenz beitragen [13, 21, 30]. COVID-19-assoziierte neurologische Komplikationen wie ADEM oder GBS liegen möglicherweise einem post- oder parainfektiösen immunvermittelten Mechanismus zugrunde, bei dem ein molekulares Mimikry zwischen neuronalen und viralen Proteinen zu einer unbeabsichtigte Immunreaktion gegen die eigenen Wirtszellen führt [29]. Patienten mit COVID-19-assoziierten Enzephalopathien sprachen wie Patienten mit autoimmunen Enzephalitiden auf Kortikosteroide an, was die Bedeutung immunvermittelter Mechanismen und nicht direkter viraler Wirkungen unterstreicht [32].

Im Vergleich zu neurologischen Erkrankungen zeigten psychiatrische Erkrankungen (Stimmungs- und Angststörungen) einen schwächeren Zusammenhang mit den Markern des COVID-19-Schweregrads. Dies könnte darauf hindeuten, dass ihr Auftreten zumindest teilweise die psychologischen Auswirkungen einer COVID-19-Diagnose widerspiegelt, anstatt eine direkte Manifestation der Krankheit zu sein [38].

Das Neuroimaging-Muster spiegelt u. a. Folgen einer Hypoxie, thromboembolischer Ereignisse und die einer Neuroinflammation wider. Keine dieser Befunde sind jedoch spezifisch [1, 13, 21, 30].

Ob neurologische Manifestationen von SARS-CoV‑2 als direkte Folge der neuroinvasiven Eigenschaften des Virus oder als indirekte Folge einer nachgeschalteten Multiorgandysfunktion und weiterer ex- und intrinsischer Einflussfaktoren auftreten, ist noch nicht vollständig geklärt. Es handelt sich jedoch höchstwahrscheinlich um eine Kombination genannter Faktoren [21].

Mögliche Pathogenese bei Post-COVID-19-Syndrom

Bei dem Post-COVID-19-Syndrom handelt es sich wahrscheinlich um eine heterogene Entität mit einer multifaktoriellen Ätiologie, einschließlich virale Persistenz, entzündliche Veränderungen, körperliche Dekonditionierung und psychologische Faktoren. Auch postinfektiöse Autoimmunmechanismen werden vermutet. Das derzeit erhöhte Verhältnis von Frauen zu Männern und Komorbiditäten bestärken diese Hypothese [46].

Ob das ZNS ein potenzielles langfristiges Virusreservoir darstellt und ob oder inwiefern SARS-CoV‑2 durch z. B. Endotheliitis oder Mikrovaskulopathie einen Beitrag zu „Long-COVID“ leistet, bleibt abzuwarten [24].

Allgemeine Bewertung der Studienlage und Ausblick

Neben Fallstudien nahmen retrospektive Studiendesigns bisher den größten Teil der COVID-19-Studienlage ein, das heißt, es wurden nur die Symptome eingeschlossen, die zufällig abgefragt worden waren. Kontrollgruppen fehlten häufig, was Schlussfolgerungen über die Spezifität der COVID-19-Symptome einschränkte. Bezogen auf die Bevölkerung ist der häufige Einsatz stationärer Krankenhauspatienten nicht repräsentativ für die Mehrheit der Patienten mit COVID-19, die nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden. Studien aus wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern fehlten meist. Fehlende Baseline-Bewertung und konzeptionelle Überschneidungen wie Schwäche und Müdigkeit oder Delir und Enzephalopathie schränkte die Qualität der Aussagekraft der Schlussfolgerungen ein. Subgruppenanalysen wiesen darüber hinaus, darauf hin, dass Variationen in Populationen, Ergebnissen und Messtechniken einen Großteil der Unterschiede zwischen den Studien erklären könnten.

Zukünftige gut konzipierte kontrollierte Studien mit prospektivem und auch longitudinalem Design können helfen, die Prävalenz genauer zu bestimmen und Schlussfolgerungen auch über die langfristigen Auswirkungen der neuropsychiatrischen Post-COVID-19-Symptome zu ziehen. Des Weiteren sollten zukünftige Studien auch die nichthospitalisierten COVID-19-Erkrankten, den Zeitpunkt der neurologischen und neuropsychiatrischen Symptome im Verhältnis zur Diagnose sowie Informationen über Vorerkrankungen, sozioökonomische Faktoren und Lebensstilfaktoren erfassen [9, 24, 36, 38, 42, 49, 51].

Fazit für die Praxis

  • Zunehmende Review-Arbeiten erlauben eine genauere Analyse der Manifestationen und Prävalenzzahlen der neurologischen Symptome und Erkrankungen im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion.

  • Konstant blieb die Tendenz, dass leichtere unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Anosmie sehr viel häufiger auftraten als schwere neurologische Komplikationen wie Enzephalopathie und Schlaganfall.

  • Der Pathomechanismus neurologischer Komplikationen wird in einem Zusammenspiel aus direkter viraler ZNS Infiltration, Zytokin-Sturm, Hypoxie, Hyperkoagulabilität, Endotheliopathie, multiplem Organversagen, Migration von Immunzellen und postinfektiösen Autoimmunmechanismen vermutet.

  • Das Spektrum neurologischer Symptome und Erkrankungen bei einem Post-COVID-19-Syndrom beinhaltet meist unspezifische neurologische und neuropsychiatrische Beschwerden, die länger als 6 Wochen nach einer COVID-19-Infektion anhalten. Frauen mittleren Alters, insbesondere mit Komorbiditäten wie Depression/Angst und Autoimmunerkrankungen, seien ersten Studien zufolge häufiger betroffen. Eine multifaktorielle Genese scheint derzeit am wahrscheinlichsten.