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Publicly Available Published by De Gruyter June 3, 2021

Mikko Huotari/Jan Weidenfeld/Claudia Wessling: Towards a “Principles First Approach” in Europe’s China Policy. Drawing lessons from the Covid-19 crisis. Berlin: MERICS, September 2020

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Huotari Mikko Weidenfeld Jan Wessling Claudia Towards a “Principles First Approach” in Europe’s China Policy Drawing lessons from the Covid-19 crisis. Berlin MERICS September 2020


Julianne Smith/Andrea Kendall-Taylor/Carisa Nietsche/Ellison Laskowski: Charting a Transatlantic Course to Address China. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Oktober 2020

Franklin D. Kramer: Priorities for a Transatlantic China Strategy. Washington, D.C.: The Atlantic Council, November 2020

Die Herausforderung, die China auf mehreren Gebieten wie etwa Wirtschaft, Technologie, Sicherheit und Wertvorstellungen für den Westen darstellt, steht mittlerweile in Europa und auch in den transatlantischen Beziehungen weit oben auf der politischen Agenda. Dies war auch schon vor dem Coronavirus-Ausbruch der Fall, doch die Pandemie beschleunigte diesen Trend. Chinas Handlungen seit Beginn der Pandemie, einschließlich seiner schroffen Reaktion auf internationale Kritik, haben die schon seit Längerem in Europa bestehenden Befürchtungen bezüglich der Folgen der wachsenden Macht Chinas und der zunehmenden Abhängigkeit Europas von China noch einmal verstärkt. Das Verhältnis zwischen den USA und China, das bereits durch eine aufkommende Rivalität zwischen den Supermächten definiert war, hat sich unterdessen im Lauf der Pandemie weiter verschlechtert.

Die gleichzeitige Zunahme der Spannungen im Verhältnis von Europa und den USA zu China hat dazu beigetragen, die Herausforderung China auf die transatlantische Agenda zu setzen. Der Regierung Trump verzeichnete gewisse Erfolge dabei, europäische Staaten dazu zu bewegen, die Beteiligung von Huawei am Aufbau von Mobilfunknetzen der fünften Generation (5G) einzuschränken oder zu blockieren. In einem aktuellen Bericht der NATO Reflection Group wurden mögliche Reaktionen der Allianz auf China diskutiert. Der neu ins Amt gekommene US-Präsident Joe Biden bekundete seine Absicht, die Herausforderung China in enger Abstimmung mit Verbündeten, einschließlich der europäischen, anzugehen und eine gemeinsame Strategie mit ihnen zu entwickeln.

Dieses Vorhaben begann allerdings nicht gerade verheißungsvoll, denn die Europäische Union erklärte ungefähr zur gleichen Zeit, sie habe die Verhandlungen mit China über ein Umfassendes Investitionsabkommen im Grundsatz abgeschlossen, obwohl das Team des gewählten Präsidenten Biden den Wunsch geäußert hatte, sich vor Abschluss der Verhandlungen mit der EU zu beraten.

Daher ist die Zeit reif dafür, die europäischen und transatlantischen Strategien gegenüber China mit neuen Ideen anzureichern. Auf beiden Seiten des Atlantiks ist dieser Prozess bereits in vollem Gange. Mehrere aktuelle Publikationen, u. a. die hier vorliegenden drei Studien, plädieren für eine umfassende politische Strategie gegenüber China. Ein solcher Ansatz hat nach einhelligem Fazit aller drei Berichte dann die besten Erfolgschancen, wenn Europa und die Vereinigten Staaten eng zusammenarbeiten.

Der Bericht des Mercator Institute for China Studies in Berlin mit dem Titel Towards a ‘Principles First’ Approach in Europe’s China Policy: Drawing lessons from the Covid-19 crisis konzentriert sich auf Europa und vertritt nachdrücklich die Auffassung, dass ein „im alten Trott fortfahren“ in den Beziehungen zu China nicht möglich sei. „Die europäische China-Politik muss von dem nüchternen Befund ausgehen, dass China häufig und anhaltend nicht mit jenen Prinzipien, Werten und anerkannten Erfahrungswerten konform geht, die dem europäischen Projekt und den freiheitlich-demokratischen Marktwirtschaften im OECD-Verbund zugrunde liegen,“ schreiben Mikko Huotari und Jan Weidenfeld in ihrer Einleitung. „Die Regierenden in Peking begnügen sich nicht länger damit, einfach nur zu verhindern, dass solche Prinzipien und Werte in China Fuß fassen; sie bemühen sich jetzt auch darum, diese auf internationaler Ebene zurückzudrängen. Europa wird daher die Schlussfolgerung akzeptieren müssen, die führende Kader der Kommunistischen Partei Chinas schon vor Langem intern gezogen haben: Das europäische System der wirtschaftlichen und politischen Ordnungsgestaltung steht im Wettstreit mit den strategischen Prioritäten und politischen Präferenzen Chinas.“

Die Coronavirus-Pandemie sei ein „Weckruf“ für Europa gewesen, weil die Reaktion Chinas klar gezeigt habe, dass „die Vorgehensweise und das Verhalten Pekings im Ausland sich nicht grundlegend von seinem Handeln im Innern unterscheiden.“ Huotari und Weidenfeld, die den Bericht der Europäischen Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik an den Europäischen Rat vom März 2019 „EU-China: ein strategischer Ausblick“ als Ausgangspunkt nehmen, plädieren dafür, dass Europa eine „Prinzipien-orientierte Strategie“ gegenüber China praktizieren sollte, „mit Konkurrenz als Regelfall“.

Eine solche Strategie solle darauf abzielen, die Widerstandskraft, die Wettbewerbsfähigkeit und die internationale Bedeutung Europas sowohl im globalen Maßstab als auch im Verhältnis zu China zu verbessern. Je nach den Umständen und dem fraglichen Problem könnte eine solche Strategie sowohl offensive als auch defensive Maßnahmen umfassen, einschließlich einer Zusammenarbeit mit China bei bestimmten Fragen, sofern dies europäischen Interessen dient, nötigenfalls entschlossenem Widerstand und Bildung von Gegenallianzen. Auch können Verbesserungen im Verhältnis ausgehandelt werden im Gegenzug zu gewünschten Veränderungen an Chinas Auftreten.

Die Bemühungen Europas, seine Widerstandskraft zu stärken, sollten sich, so Huotari und Weidenfeld, auf die politischen und wirtschaftlichen Dimensionen konzentrieren. Die EU sollte alles daransetzen, ihre politische Souveränität und Einheit gegen chinesische Bemühungen zu verteidigen, diese durch Vereinnahmung von Eliten oder die Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu untergraben. Außerdem sollte Europa Schritte unternehmen, wie etwa die Diversifizierung von Lieferketten, um Schwachstellen infolge der wirtschaftlichen Verflechtung mit China zu verringern. In beiden Fällen wären Transparenz und das Teilen von Erfahrungswerten innerhalb der EU hilfreich bei der Entwicklung eines systematischen Ansatzes. Europa sollte einen „kompetitiven Liberalismus“ praktizieren, der darauf abzielt, den Einfluss freiheitlicher Demokratien und des liberalen Multilateralismus im Handel, in der digitalen Sphäre, bei den Menschenrechten und in anderen Fragen zu stärken.

Europa sollte sich auch bemühen, seine globale Bedeutung bei Verhandlungen über die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter zu stärken. Dies würde die Verhandlungsposition Europas im Vergleich zu China bei Fragen wie globaler Gesundheit und Klimawandel sowie seine Fähigkeit stärken, geopolitischen Herausforderungen durch China in Regionen wie dem Westbalkan, dem Nahen Osten und Nordafrika, dem Indopazifik und der Arktis zu begegnen. Eigenständige Kapitel von vielen verschiedenen Autoren behandeln jede dieser Fragen in erhellenden Details.

Bei all diesen Themen kommt der transatlantischen Kooperation eine wichtige Rolle zu. Die ureigenen Schwierigkeiten Europas im Verhältnis zu China werden durch die jüngste Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China noch komplizierter gemacht. Die Bemühungen Europas, sich vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Rivalität zwischen den USA und China zu positionieren, werden besonders heikel sein, weil die Beziehungen zwischen China und dem Westen im Gegensatz zu den Beziehungen zwischen den gegnerischen Blöcken während des Kalten Kriegs durch tiefe Verflechtungen auf ökonomischem und finanziellem Gebiet sowie bei den Lieferketten gekennzeichnet sind.

Ungeachtet dieser komplexen Gemengelage sollte Europa, so Huotari und Weidenfeld, eine klare Entscheidung zugunsten einer transatlantischen China-Strategie treffen. „Beim Aufbau einer neuen Beziehung zu China,“ schreiben sie, „ist es weder in Europas Interesse, Pekings Vision einer Koexistenz zu hauptsächlich chinesischen Bedingungen zu tolerieren, noch, eine Politik zu verfolgen, die gleichen Abstand zwischen einem autoritären China und einer in jüngster Vergangenheit allzu oft mangelhaft erscheinenden freiheitlichen Demokratie in den USA halten will. Eine vollständige Abkopplung von China und ein genereller Schulterschluss mit einem harten außenpolitischen Kurs der USA gegenüber der aufstrebenden Supermacht ist nicht in Europas Interesse, aber noch unkluger wäre es, Bemühungen zur Wiederbelebung der transatlantischen Kooperation aufzugeben.“

Eine gemeinsame transatlantische Strategie steht im Mittelpunkt zweier weiterer Studien. Das Papier „Grundzüge eines transatlantischen Strategie für den Umgang mit China“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Center for a New American Security (CNAS) und des German Marshall Fund of the United States. Es skizziert mehrere Grundsätze einer gemeinsamen transatlantischen Strategie gegenüber China. „Es ist höchste Zeit, dass die Vereinigten Staaten und Europa ihre China-Politik koordinieren,“ heißt es in dem Papier, weil China bereits einen Vorsprung auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und bei der 5G-Technologie habe und auch andere Hightech-Sektoren dominieren wolle. China habe auch seine Anstrengungen zur Unterminierung freiheitlicher Demokratien und zur Förderung seiner eigenen autoritären Weltanschauung verstärkt. Zwietracht in den transatlantischen Beziehungen ermutige China nur, wie man es während der Präsidentschaft Trump sehen konnte, und daher sei eine gemeinsame Strategie von zentraler Bedeutung. Weder eine unabhängige europäische China-Politik noch ein einseitiges Vorgehen der Vereinigten Staaten sei erfolgversprechend, heißt es in dem Bericht.

Der entscheidende Erfolgsfaktor im Wettstreit mit China, so das Paper weiter, sei die Fähigkeit Europas und der Vereinigten Staaten, ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken – ein Ziel, dem man durch transatlantische Kooperation näherkommen könne. Die Vereinigten Staaten, die sich auf den Ebenen der EU, der nationalen Regierungen und der NATO mit Europa abstimmen, sollten eine breite Koalition gleichgesinnter Demokratien aufbauen, die sich über die transatlantische Region hinaus erstreckt, um eine angemessene Antwort auf die chinesische Herausforderung zu finden, auch um den Europäern auf diese Weise zu versichern, dass sich die Vereinigten Staaten nicht nur um ihre eigenen Interessen, sondern auch um die der anderen Staaten kümmern.

Obwohl es dringend notwendig sei, chinesischen Aktionen in wichtigen Sektoren entgegenzutreten, sollten sich Europa und die Vereinigten Staaten auch bemühen, China bei Fragen einzubeziehen, die globale Lösungen erfordern, wie etwa dem Klimawandel.

Franklin D. Kramer, Fellow am Scowcroft Center for Strategy and Security beim Atlantic Council, ist Verfasser der Studie „Prioritäten für eine transatlantische China-Strategie.“ Seines Erachtens sollten die transatlantischen Partner in ihren Beziehungen mit China mehrere Prioritäten angehen. Europa und die Vereinigten Staaten sollten Maßnahmen koordinieren, um ihre Märkte vor unfairer Konkurrenz durch hochsubventionierte chinesische Unternehmen zu schützen und chinesische Investitionen in sensiblen Sektoren zu begrenzen. Sie sollten zusammenarbeiten, um eine widerstandsfähige Cybersicherheitsarchitektur zu entwickeln, die Unternehmen vor chinesischer Cyberspionage schützen würde. Um resiliente Lieferketten aufzubauen, sollten transatlantische Partner die Abhängigkeit von China dadurch verringern, dass sie in kritische Bereiche wie Seltene Erden und 5G investieren, indem sie Unternehmen, die kritische Infrastruktur bereitstellen, dazu verpflichten, ihre Lieferanten über China hinaus zu diversifizieren, und indem sie China aus strategischen Lieferketten im militärischen und nachrichtendienstlichen Bereich ausschließen. Europa und die Vereinigten Staaten sollten ihre Politik gegenüber der indopazifischen Region und ihre Bemühungen koordinieren, Konflikte im Südchinesischen und Ostchinesischen Meer und einen Angriff auf Taiwan zu verhindern. Sie sollten auch eine gemeinsame Strategie in Bezug auf Themen entwickeln, die die Einbeziehung Chinas erfordern, insbesondere Klimawandel und globale Gesundheit. Die transatlantischen Partner sollten all diese Fragen in einem noch zu gründenden Transatlantischen Koordinierungsrat erörtern, schreibt Kramer.

Alle drei Studien liefern wichtige Beiträge zur Debatte über die China-Politik auf beiden Seiten des Atlantiks. Sie behaupten zu Recht, dass die chinesische Herausforderung eine transatlantische Zusammenarbeit erfordere. Die Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten bietet eine Gelegenheit, dieses Ziel zu erreichen. Wie er während des Präsidentschaftswahlkampfs sagte, sind die Bemühungen der USA, China in Bereichen wie Handel, Investitionen und Technologie entgegenzutreten, erfolgversprechender, wenn die Vereinigten Staaten und Europa ihre Bemühungen bündeln, als wenn die Vereinigten Staaten einseitig handeln. Zusammen erwirtschaften die Vereinigten Staaten und Europa rund die Hälfte des globalen Bruttosozialprodukts, was die transatlantische Partnerschaft zu einer Kraft macht, die in den Wirtschaftsbeziehungen mit China ins Gewicht fällt.

Europa seinerseits würde ebenfalls davon profitieren, wenn es seine China-Politik mit den Vereinigten Staaten koordinieren würde. Jeder Versuch Europas, eine eigenständige Politik gegenüber China zu betreiben, insbesondere aber eine, die einen Mittelweg zwischen China und den Vereinigten Staaten suchte, dürfte die Position Europas schwächen und seine Abhängigkeit von China und seine Verwundbarkeit erhöhen.

Die Umsetzung der politischen Empfehlungen, die in diesen Studien formuliert werden, wird nachhaltige Anstrengungen auf beiden Seiten des Atlantiks erfordern. Auch in Europa bedarf es eines gewissen Umdenkens und weiterer Korrekturen. Der Abschluss der Verhandlungen über das Umfassende Investitionsabkommen ist ein typisches Beispiel. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte sich seit Langem für dieses Abkommen ein, und sie wollte die sechsmonatige EU-Präsidentschaft Deutschlands mit der Vereinbarung krönen. Befürworter des Abkommens behaupteten, die EU erhalte auf diese Weise lediglich einige der gleichen Vorteile, die sich die Vereinigten Staaten in ihrem Phase-1-Handelsabkommen mit China im Januar 2020 sicherten. Allerdings ist das Abkommen auch ein bedeutender Sieg für China, nach einer Phase, in der das Vorgehen der chinesischen Führung für erhebliche internationale Verstimmung sorgte.

Kanzlerin Merkel hat sich durchweg um starke Beziehungen zu China bemüht und dabei auf den Grundsatz „Wandel durch Handel“ in der Hoffnung gesetzt, auf diese Weise China zu Änderungen seines Verhaltens zu bewegen. Dieser Kurs sieht sich heute wachsender innenpolitischer Kritik ausgesetzt, und Deutschland wird nach Merkels Rückzug im Herbst dieses Jahres vielleicht eine härtere Gangart gegenüber China einschlagen. Allerdings wird die starke Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom chinesischen Markt, insbesondere in Sektoren wie Autohersteller und Maschinenbau, eine Politik der härteren Linie gegenüber China erschweren.

Eine Frage, denen die Studien ausweichen, ist die Lastenteilung innerhalb der NATO. Auch wenn sich eine gemeinsame transatlantische China-Strategie in erster Linie auf Wirtschaft und Technologie beziehen würde, sind auch die Verteidigungsausgaben relevant. In dem Maße, wie sich die militärischen Fähigkeiten Chinas verbessern, werden die Vereinigten Staaten gezwungenermaßen Ressourcen und Aufmerksamkeit auf den asiatisch-pazifischen Raum umlenken müssen. Unter diesen Umständen könnten die europäischen Mitgliedstaaten der NATO einen wertvollen Beitrag zur US-amerikanischen China-Politik leisten, indem sie einen größeren Teil der Lasten für die europäische Sicherheit tragen.

Diese drei Studien enthalten wertvolle Analysen und nützliche politische Empfehlungen für eine gemeinsame transatlantische Strategie. Zu einem Zeitpunkt großer Ungewissheit in der Weltpolitik verlangt ihre Umsetzung einen starken politischen Willen.

https://merics.org/en/report/towards-principles-first-approach-europes-china-policy

https://www.cnas.org/publications/reports/charting-a-transatlantic-course-to-address-china

https://www.atlanticcouncil.org/in-depth-research-reports/issue-brief/priorities-for-a-transatlantic-china-strategy/

Published Online: 2021-06-03
Published in Print: 2021-06-01

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2021-2012/html
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