Koordinative Zusammenarbeit zwischen städtischen Langzeitinstitutionen, Spitex und Spital

COVID-19: Erfahrungen aus den Pflegezentren der Stadt Zürich

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2020/2324
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18943
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(2324):743-745

Affiliations
a Dr. med. MHA, Chefärztin Geriatrischer Dienst, Pflegezentren der Stadt Zürich; b Dr. med. MHA, Ärztlicher Leiter Alterszentren Stadt Zürich, Leitender Arzt Universitäre Klinik für Akutgeriatrie, Stadtspital Waid und Triemli, Zürich; c Dr. med., Oberarzt m.e.V., Abteilung Infektiologie, Spitalhygiene und Personal­medizin, Departement Innere Medizin, Stadtspital Waid und Triemli, Zürich; d PhD, Klinische Pflegewissenschaft, Pflegezentren der Stadt Zürich

Publiziert am 03.06.2020

Heimbewohnerinnen und -bewohner sind in der Regel hochbetagt und gehören zur Hochrisikogruppe für einen Infekt mit SARS-CoV-2. Präventions- und Schutzmassnahmen und ein konsequentes Ausbruchsmanagement sind essentiell. Wie unsere Erfahrungen von COVID-19-Ausbrüchen zeigen, sind die Symptome dieser Patientengruppe oft wenig ausgeprägt. Dadurch besteht ein grosses Risiko, das Virus unerkannt in einer Institution zu verbreiten.

Versorgung älterer Menschen in der Stadt Zürich

Die Stadt Zürich betreibt als Gesundheitsorganisation unter anderem ein Spital (679 Betten) an zwei Stand­orten sowie acht Pflegezentren und zwölf Pflegewohngruppen mit insgesamt 1600 Betten für mittelschwer bis schwer pflegebedürftige und v.a. hochbetagte Menschen. Zudem werden weitere 2000, meist robustere und selbständigere ältere Menschen in 23 städtischen Alterszentren betreut. Die ärztliche Versorgung der Menschen erfolgt in den Pflegezentren der Stadt Zürich (PZZ) durch den Geriatrischen Dienst (angestellte Ärzte in Weiterbildung, Kaderärzte mit Schwerpunkt Geriatrie oder Gerontopsychiatrie) und in den Alterszentren Stadt Zürich (ASZ) durch über 300 Hausärzte und einen verantwortlichen ärztlichen Leiter (Heim­arzt). Ausserdem gibt es drei Spitexorganisationen mit städtischem Versorgungsauftrag. Im Bereich der Spitalhygiene gab es vor der Pandemie eine lockere ­Zusammenarbeit zwischen den PZZ und dem ­Stadt­spital Waid und Triemli, bei ASZ mit einer privaten ­Hygienefachfrau. Diese Zusammenarbeit wurde zu ­Beginn der Pandemie stark intensiviert und durch ­einen regelmässigen fachlichen Austausch gemeinsame Haltungen und Vorgehensweisen be­schlossen.
So waren zum Beispiel die Vorgaben und Weisungen der Bundesbehörden und auch der kantonalen Gesundheitsdirektion zu Beginn der Pandemie ganz auf die Spitäler ausgerichtet. Durch das gemeinsame Einbringen der Anliegen und Bedürfnisse der Spitexorganisationen und Langzeitinstitutionen, die plötzlich als «kleine Spitäler» zu funktionieren hatten und denen viele behördlich verordnete Pflichten ohne die nötigen Ressourcen auferlegt wurden, konnte teilweise korrigierend eingewirkt werden.

Präventions- und Schutzmassnahmen: zahlreich und schwierig in der Umsetzung

In den städtischen Institutionen wurden sehr früh konsequente Schutzmassnahmen ergriffen. In allen Betrieben wurde die Standardhygiene wiederholt in­struiert und von Hygieneteams überwacht. Ab dem 13. März wurde ein Besuchsverbot erlassen. Seit dem 16. März gilt die Maskenpflicht für alle Mitarbeitenden der Spitex, ASZ, PZZ und Spitäler, sofern sie Patientenkontakt haben. Kurz darauf wurde die Maskenpflicht für alle Mitarbeitenden umgesetzt.
Alle Neueintritte erfolgen über eine Aufnahme- und Quarantäneabteilung oder eine Zimmerquarantäne. Zudem wurden in den PZZ zwei designierte Abteilungen aufgebaut mit dem Ziel, COVID-19-erkrankte Bewohnerinnen und Bewohner der ASZ, anderer städtischer Heime oder auch Spitäler aufzunehmen bzw. zu kohortieren.
Die Pflegeteams der PZZ und ASZ wurden gemäss den Vorgaben des BAG angewiesen, Bewohnerinnen und Bewohner mit Fieber oder respiratorischen Symptomen sofort dem Arztdienst zu melden. Betroffene werden unmittelbar isoliert und auch am Wochenende durch den Arzt- bzw. Pikettdienst getestet.
Die Isolation erfolgt wie in den Spitälern mit Schutzausrüstung für das Personal. Im Gegensatz zum Spital sind Isolations- und Quarantänemassnahmen in Alters- und Pflegeheimen allerdings viel schwieriger umzusetzen. Bewohnerinnen und Bewohner wohnen in der In­stitution und bewegen sich frei auf ihren Abteilungen. Die Prävalenz von dementiellen Erkrankungen ist hoch.

Unverhofft kommt oft

In einer Institution der ASZ kam es Mitte März zu ­einem ersten COVID-19-Ausbruch. Die mutmasslichen Infektionsquellen waren Mitarbeitende vor der Einführung der Maskenpflicht. Mobile und kognitiv ­eingeschränkte COVID-19-Erkrankte, die keine Hospitalisierung wünschten, wurden wegen des hohen Verbreitungsrisikos auf die COVID-Abteilungen der PZZ verlegt. Die Kohortierungsmassnahmen wurden jeweils vorgängig mit den zuständigen Hausärzten und Angehörigen besprochen. COVID-Erkrankte in schlechtem Allgemeinzustand wurden nicht verlegt, sondern in ihrem Zimmer isoliert und gepflegt.

Zwei weitere Ausbrüche

In den Pflegezentren (PZ) A und B kam es Anfang April zu zwei weiteren, schwer einzugrenzenden Ausbrüchen. Trotz konsequenter Testung symptomatischer Patientinnen und Patienten, strikter Quarantäne bzw. Isolation wurden immer wieder neue Bewohnerinnen oder Bewohner symptomatisch und auch positiv getestet.
Daher entschieden sich die PZZ, in Absprache mit den Infektiologen des Stadtspitals Waid und Triemli und den Gesundheitsbehörden von Stadt und Kanton, alle bisher asymptomatischen Bewohnerinnen und Bewohner auf den betroffenen Abteilungen im Sinne einer Punktprävalenzerhebung ebenfalls zu testen. Weil die Infektions­quelle(n) unklar war(en), wurden ausserdem alle auf diesen Abteilungen eingesetzten Mitarbeitenden getestet.

Überraschende Testresultate

42% der 190 Bewohnerinnen und Bewohner der PZ A und B wurden positiv getestet.
Erstaunlich war, dass 40% der Getesteten (noch) keine Symptome hatten. Bei der Hochrisikogruppe der Hochbetagten gibt es offenbar und v.a. zu Beginn der Infektion zahlreiche asymptomatische Patientinnen und Patienten, die das Virus unerkannt verbreiten können. Isolationsmassnahmen lediglich für symptomatische Patientinnen und Patienten waren deshalb nicht erfolgreich in der Bekämpfung des Ausbruchs. Diese Erkenntnis deckt sich auch mit der Analyse eines SARS-CoV-2-Ausbruchs in einem amerikanischen Pflegeheim, in dem gut die Hälfte der zu Beginn des Ausbruchs positiv Getesteten asymptomatisch war [1]. Bei Reisenden auf dem Kreuzfahrtschiff «Diamond Princess» konnte nachgewiesen werden, dass knapp 20% der asymptomatischen positiv getesteten Mitreisenden im Verlauf asymptomatisch geblieben sind [2].
Im Pflegezentrum A wurden 10 von 64, im Pflegezen­trum B 3 von 90 asymptomatischen Mitarbeitenden ­positiv getestet. Als Sofortmassnahme bei den Mitarbeitenden wurde das noch konsequentere Social Distancing beim Essen, Rauchen und in der Garderobe durchgesetzt. So wurden den Mitarbeitenden zum ­Beispiel persönliche Zeitfenster zur Garderobenbenutzung zugeteilt oder das Essen im Freien und in Schichten organisiert.

Testresultate auf COVID-freien ­Abteilungen

Vor Ostern wurde – wiederum in Absprache mit dem Stadtrat und der Gesundheitsdirektion des Kantons ­Zürich – eine erweiterte Punktprävalenztestung durchgeführt. Geplant war, alle Bewohnerinnen und Bewohner der PZZ von bisher nicht betroffenen Abteilungen zu testen, um zu überprüfen, ob auch dort asymptomatische COVID-Fälle vorhanden sind. Die Resultate der ersten 320 Bewohnerinnen und Bewohner sind in Tabelle 1 dargestellt. Alle Beprobten waren nega­tiv. Auf die Testung weiterer Pflegezentren ohne COVID-Fälle wurde daraufhin verzichtet. Es ist anzunehmen, dass auf Abteilungen ohne symptomatische COVID-Fälle und ohne erkrankte Mitarbeitende mit eine­r hohen Wahrscheinlichkeit auch nicht mit asym­ptomatischen Trägern zu rechnen ist.
Tabelle 1: Kohortentestung nicht betroffene Abteilungen.
SARS-CoV-2-Kohortentestung auf nicht betroffenen Abteilungen
PZN
AbteilungenN
BewohnerDatum
KohortentestStatus 
CoronaN positiv Tag
Kohortentest
PZ181258.4.2020negativ0
PZ2101708.4.2020negativ0
PZ31256.4.2020negativ0

Fazit

In Alters- und Pflegeheimen, in denen Schutzmassnahmen wegen Patientencharakteristika oder struktureller Begebenheiten nur ungenügend umgesetzt werden können, breitet sich das SARS-CoV-2-Virus rasch aus. Nur durch eine konsequente Isolation der Virusträger lässt sich die Ausbreitung eingrenzen. Dazu muss man die Virusträger aber auch kennen. Selbst bei den erkrankten, symptomatischen Bewohnerinnen und ­Bewohnern erfüllten nur 41% die damals geltenden Testkriterien des BAG. 40% der Virusträger waren in unserer Ausbruchskohorte bei Diagnosestellung asymptomatisch. In einer Ausbruchsituation mit mehreren COVID-Erkrankten erscheint es deshalb sinnvoll, im Sinne einer Punktprävalenzmessung breit zu testen. Dieses Vorgehen lohnt sich, denn im Pflegeheim hat das Virus eine hohe Letalität. In unserer untersuchten Population liegt sie bei ca. 40%. Sie ist damit deutlich höher als in der gleichaltrigen Durchschnitts­population [3].
Die Zusammenarbeit und der regelmässige Austausch von Vertretern aus den verschiedenen Fachdisziplinen und Institutionen ermöglichen koordinierte Aktionen und Massnahmen mit Sicht über die eigenen Versorgungsgrenzen hinaus.

Ausblick

Durch weiterführende Analysen unserer Daten hoffen wir, neue Erkenntnisse über den Verlauf der Erkrankung bei dieser Hochrisikogruppe bzw. über mögliche Korrelationen zwischen Patientencharakteristika und dem Verlauf zu erhalten.

Das Wichtigste in Kürze

• Präventions- und Schutzmassnahmen sind in Langzeitinstitutionen essentiell und müssen koordiniert und gut vernetzt erfolgen.
• Aufgrund der hohen Prävalenz von kognitiven Störungen und strukturellen Hürden sind Schutz-, Quarantäne- und Isolationsmassnahmen in Langzeitinstitutionen viel schwieriger umzusetzen.
• Gerade hochbetagte Heimbewohnerinnen und -bewohner können wenig Symptome zeigen und dadurch unerkannt das Virus verbreiten.
• In einer Ausbruchsituation sollen breite Testungen von Pa­tientinnen und Patienten und wenn angezeigt auch von Mitarbeitenden erwogen werden. Dadurch werden zielgerichtete Isolationsmassnahmen rascher möglich.
• Der regelmässige Austausch von Vertretern aus den verschiedenen Fachdisziplinen und Institutionen ermöglicht koordi­nierte Aktionen und Massnahmen mit Sicht über die eigenen Versorgungsgrenzen hinaus.

L’essentiel en bref

• Essentielles dans les institutions de long séjour, les mesures de prévention et de protection doivent y être interdisciplinaires et coordonnées.
• Du fait d’obstacles structurels et de la forte prévalence des troubles cognitifs, les dispositifs de protection, de quarantaine et d’isolement sont beaucoup plus difficiles à mettre en œuvre dans ces établissements.
• Or, les résidentes et résidents très âgés des EMS présentent souvent peu de symptômes, ce qui favorise une propagation silencieuse du virus.
• Si un foyer épidémique apparaît, il faut donc envisager des tests à grande échelle auprès des patientes et patients et, le cas échéant, du personnel. Cela permet de prendre plus rapidement des mesures d’isolement ciblées.
• Les échanges réguliers entre représentants des différentes disciplines spécialisées et institutions permettent de coordonner les actions et mesures au-delà de ses propres limites de soins de santé.
keine
Dr. med.
Gabriela Bieri-Brüning,
FMH Allgemeine Innere Medizin, spez. Geriatrie
Chefärztin
Geriatrischer Dienst
Pflegezentren Zürich
Walchestrasse 31, Postfach CH-8021 Zürich
Tel. 044 412 10 13
gaby.bieri[at]zuerich.ch
1 Arons MM, Hatfield KM, Reddy SC, Kimball A, James A, Jacobs JR, et al. Presymptomatic SARS-CoV-2 Infections and Transmission in a Skilled Nursing Facility. NEJM; DOI: 10.1056/NEJMoa2008457
2 Mizumoto K, Kagaya K, Zarebski A, Chowell G. Estimating the asymptomatic proportion of coronavirus disease 2019 (COVID-19) cases on board the Diamond Princess cruise ship, Yokohama, Japan, 2020. Euro Surveill. 2020;25(10):pii=2000180.
3 Livingston E, Bucher K. Coronavirus disease 2019 (COVID-19) in Italy. JAMA. 2020.