Die pandemische Ausbreitung der neuen Variante des Coronavirus SARS-Cov‑2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2) und die damit einhergehenden Infektionszahlen für die in diesem Zusammenhang auftretenden COVID-19-Infektionen (Coronavirus Disease 2019-Infektionen) haben die klinischen Versorgung in der Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Heilkunde auf vielfältige Weise nachhaltig beeinflusst [1]. Während in einigen HNO-Kliniken in Deutschland durchgängig erhebliche Einschränkungen in Bezug auf die Durchführung elektiver Operationen aufrechterhalten werden, sind andere Kliniken über die Sommermonate wieder weitgehend zu den früheren Leistungszahlen zurückgekehrt. Die teils erheblichen Unterschiede in der Aufrechterhaltung insbesondere der operativen HNO-ärztlichen Versorgung lassen sich nur z. T. durch unterschiedliche infektionsepidemiologische Situationen erklären. Häufig bestehen die Einschränkungen aufgrund von Entscheidungen der lokalen Krankenhausleitungen oder der Corona-Krisenstäbe, ohne dass sich hier ein deutschlandweit einheitliches Vorgehen abzeichnen würde.

Um in dieser Situation eine Orientierung zu ermöglichen, hat die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. eine S1-Leitlinie zum Personal- und Patientenschutz bei Durchführung planbarer Eingriffe zur Zeit der SARS-CoV-2-Pandemie veröffentlicht [2]. Hierin wird empfohlen, alle Patienten vor operativen Eingriffen symptom- und damit verdachtsunabhängig mittels Abstrichentnahme auf das Vorliegen einer Coronainfektion zu testen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die unbemerkte Einschleppung von Infektionen in das Umfeld eines Krankenhauses und damit die unkontrollierte Verbreitung unter Patienten und Personal zu verhindern, aber auch, die mit operativen Maßnahmen einhergehenden Risiken bei klinisch unauffälligen, jedoch infizierten Patienten zu vermeiden. Dies hat besondere Bedeutung, da aktuelle Publikationen darauf hinweisen, dass es zu einer erhöhten Sterblichkeit von Patienten mit unentdeckten Corona-Infektionen auch nach elektiven Eingriffen kommen kann [3, 4]. Gleichwohl weist die Leitlinie darauf hin, dass auf Abstrichtestungen verzichtet werden kann, „falls der regionale öffentliche Gesundheitsdienst aufgrund sehr niedriger neuer Infektionszahlen eine solche globale Testung für nicht erforderlich hält“. Eine relevante Unterstützung in der Entscheidungsfindung durch das Gesundheitsamt ist auf Basis bisheriger Erfahrungen der Autoren in dieser Frage jedoch nicht realistisch.

Im Folgenden soll an 2 Beispielen dargestellt werden, wie diese Rahmenbedingungen und die Empfehlungen der Gesellschaft auf lokaler Ebene umgesetzt werden und welche Erfahrungen damit bisher gemacht wurden bzw. welche Ergebnisse die durchgeführten verdachtsunabhängigen Untersuchungen bisher erbracht haben.

An der Klinik für Hals‑, Nasen- und Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Marburg wurden bereits kurz nach Beginn der Pandemie umfängliche Screeningmaßnahmen in Kraft gesetzt. Derzeit werden alle Patienten und Besucher am Eingangsbereich des Klinikums mittels Fragebogen gescreent. An der HNO-Klinik selbst werden alle Patienten bei jeder Vorstellung erneut mittels eines standardisierten Fragebogens und mittels einer Temperaturmessung auf das Vorliegen von Symptomen hin getestet. Sind diese Untersuchungen auffällig bzw. lassen sich etwaige Symptome nicht durch die primäre HNO-ärztliche Grunderkrankung erklären, aufgrund derer der Patient die Klinik aufgesucht hat, wird der Patient je nach Dringlichkeit der Symptome entweder in die häusliche bzw. hausärztliche Versorgung übergeben oder in der Klinik zunächst isoliert und sein Status mittels einer Abstrichuntersuchung weiter abgeklärt. Darüber hinaus wurden zunächst in Anlehnung an die Leitlinie alle Patienten vor der stationären Aufnahme und vor einer operativen Maßnahme mittels eines Nasen-Rachen-Abstrichs auf das Vorliegen einer Coronainfektion untersucht (PCR-Test). Diese verdachtsunabhängige Abstrichentnahme erfolgte zunächst am gesamten Universitätsklinikum. Zwischenzeitlich wurde dieses Vorgehen schrittweise zurückgefahren, und es wurden nur noch in den Kliniken Abstrichentnahmen durchgeführt, in denen eine besondere Exposition gegenüber den Atemwegen zu erwarten war (z. B. Kliniken für HNO-Heilkunde, Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie, Pneumologie usw.). Aufgrund der geringen Infektionszahlen wurde das Verfahren weiter modifiziert, sodass in der HNO-Klinik über die Sommermonate nur bei Patienten vor operativen Eingriffen am oberen Atemweg noch präoperativ Abstriche entnommen wurden. Aufgrund der steigenden Infektionszahlen wird derzeit eine vollständige Testung aller stationären Aufnahmen mittels Antigen-Schnelltest etabliert.

Bisher wurden an der HNO-Klinik in Marburg auf dieser Basis 675 Abstrichentnahmen durchgeführt (Stand 09.09.2020). Von diesen 675 Untersuchungen waren lediglich 2 positiv, dies jedoch nicht bei verdachtsunabhängigen Untersuchungen, sondern bei Abstrichen, die bei Patienten mit klinischem V. a. eine Coronainfektion durchgeführt wurden. Entsprechend waren alle 673 verdachtsunabhängigen Corona-Abstriche unauffällig.

An der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie an der Universitätsklinik Ulm wurden im Zeitraum vom 01.05. bis zum 31.08.2020 bei allen stationär aufgenommenen und einzelnen (symptomatischen) ambulanten Patienten insgesamt 1742 SARS-CoV-2-PCR-Tests durchgeführt. Davon waren 5 Testergebnisse fraglich positiv. In Nachfolgeuntersuchungen konnte aber bei diesen 5 zunächst fraglich positiven Proben eine SARS-CoV-2-Infektion ausgeschlossen werden.

Vor dem Hintergrund, dass in beiden Kliniken bei insgesamt 2415 verdachtsunabhängigen Abstrichentnahmen keine positiven Testergebnisse zu verzeichnen waren, stellt sich die Frage nach der Effizienz einer verdachtsunabhängigen Untersuchung. Die Wertigkeit einer solchen Untersuchung hängt in hohem Maße von der Prätest-Wahrscheinlichkeit, also von der Prävalenz der Infektion bzw. der aktuell infektiösen Erkrankungen im jeweiligen Einzugsgebiet der Klinik, ab. Die Prävalenz der SARS-CoV-2-Infektionen in Deutschland ist derzeit nicht bekannt bzw. kann nur geschätzt werden. Eine aktuelle antikörperbasierte Reihenuntersuchung an einem kleinen Kollektiv ergab eine Seroprävalenz von 1,2 % [5]. Zahlreiche weitere Studien zur Seroprävalenz in Deutschland sind angelaufen [6]. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass diese Angaben sich auf Personen beziehen, die eine Infektionen durchlaufen hatten bzw. eine Antikörperreaktion aufweisen; diese Personen sind nicht notwendigerweise noch infektiös. Die verdachtsunabhängige Abstrichentnahme hat das Ziel, infizierte, aber asymptomatische Patienten zu identifizieren. Der Anteil der asymptomatischen infizierten Patienten lässt sich nur näherungsweise bestimmen und wird derzeit mit 40–45 % der Infizierten angegeben [7].

Als problematisch bei der verdachtsunabhängigen präoperativen Abstrichentnahme erweist sich die hohe Rate an falsch-negativen Befunden. Diese ist abhängig von der Viruslast und damit vom Zeitpunkt der Infektion sowie von der Art des Testsystems (PCR-Test versus Antigen-Schnelltest). Während am 8. Tag nach der Infektion die Rate an falsch-negativen Ergebnissen bei einer PCR-basierten Testung mit 20 % angegeben wird, liegt diese am ersten Tag nach Infektion bei 100 % und noch bei etwa 67 % am 4. Tag [8]. Dies bedeutet, dass auch eine Wiederholung der Testung nach einer Woche immer noch mit etwa 20 % falsch-negativen Testergebnissen einhergehen würde, unabhängig vom Risiko der zwischenzeitlichen Infektion. Suboptimale Entnahmetechniken beim Abstrich, die insbesondere bei der Delegation dieser Abstriche an nichtärztliches Personal auftreten können, können die verhältnismäßig hohen Rate an falsch-negativen Ergebnissen weiter erhöhen.

Bei der Betrachtung der Ergebnisse der eigenen Abstrichuntersuchungen verwundert die Tatsache, dass im dargestellten Untersuchungszeitraum keine positiven Testergebnisse aufgetreten sind. Dies kann mehrere Erklärungen haben. Denkbar wäre, dass der Anteil von positiven, potenziell infektiösen Patienten in dem „präoperativen“ Patientenkollektiv sehr gering ist, also geringer als 1/2415, was 0,04 % entsprechen würde. Eine alternative Erklärung wäre, dass diese Patienten trotz der klinischen Screeningmaßnahmen und der präoperativen Abstrichentnahme nicht diagnostiziert wurden (falsch-negativ waren) und die Klinik nach unkompliziertem operativen Eingriff wieder verlassen haben, ohne Komplikationen oder Infektionszeichen entwickelt oder Mitpatienten oder Klinikmitarbeiter infiziert zu haben (an beiden Kliniken sind bisher keine derartigen Infektionen aufgetreten).

Eine weitere mögliche Erklärung ergibt sich bei der Auswertung der durch das RKI veröffentlichten bundesdeutschen Infektionszahlen unter Berücksichtigung der Dauer der Infektiosität positiv getesteter Patienten und deren Anteil an der jeweiligen spezifischen Alterskohorte in der Bevölkerung [9]. Im Verlauf der bisherigen Pandemie reduzierte sich der Anteil der über 59-Jährigen von etwa 35 % in der 14.–17. Kalenderwoche auf unter 10 % in der 33.–36. Kalenderwoche. Zusammengefasst wurden in den jeweiligen Zeiträumen 32.374 versus 2546 Menschen in diesen Altersgruppen positiv getestet, was einer Reduktion um etwa 92 % zwischen den beiden 4‑Wochen-Zeiträumen entspricht. Gleichzeitig sind diese Altersgruppen für 95 % der Mortalität ursächlich.

Die systematische Testung aller Patienten vor operativen Eingriffen hat insbesondere unter Kenntnis der oben beschriebenen Mortalität [3, 4] das klare Ziel des Patientenschutzes, vor dem ökonomische Betrachtungen in den Hintergrund treten. Gleichwohl lassen die dargestellten Ergebnisse Zweifel aufkommen, ob die derzeit praktizierten Maßnahmen der verdachtsunabhängigen Abstrichentnahme vor operativen Maßnahmen die gewünschte Wirkung erzielen bzw. in einem angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen. Die verdachtsunabhängigen Abstrichentnahmen führen zu einer hohen Zahl von Untersuchungen, die die begrenzten Kapazitäten der Labore belasten. Darüber hinaus verursachen sie erhebliche Kosten und führen nicht selten zur Verzögerung der klinischen Abläufe. Ein negativer Abstrich bietet jedenfalls keine hinreichende Sicherheit und sollte keinesfalls dazu führen, die Basis-Hygienemaßnahmen zu vernachlässigen. Zur Bewertung der Sinnhaftigkeit der verdachtsunabhängigen Abstrichentnahme sind weitere Informationen zur Prävalenz der Erkrankung in der Allgemeinbevölkerung und zur Rate der falsch-negativen Testergebnisse im klinischen Alltag erforderlich. Die Autoren regen an, dass eine entsprechende Betrachtung der Ergebnisse der Abstrichentnahmen insbesondere auch an Kliniken erfolgen sollte, die in Regionen mit höheren Infektionszahlen tätig sind, um in der Zusammenschau die Empfehlungen der Fachgesellschaften neu zu bewerten und ggf. anzupassen. Im Sinne der Risikoadjustierung sollten Untersuchungen zur Mortalität bei elektiven chirurgischen Eingriffen die altersabhängige Mortalität berücksichtigen. Wenn sich dabei die grundsätzlichen Risikomuster (Alter, Geschlecht, Komorbiditäten) auch für postoperative Verläufe bestätigen, könnten Teststrategien und Konzepte zur Patientenkohortierung adaptiert werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass gerade in der Phase der zweiten Infektionswelle an (deutschen HNO-)Kliniken weiterhin systematische Testungen vorgenommen werden, die erst in der längerfristigen Perspektive beispielsweise durch eine effektive Vakzinierungsstrategie abgestellt werden können.