Skip to content
Publicly Available Published by De Gruyter March 6, 2021

COVID-19 und soziale Ungleichheit

COVID-19 and social inequality
  • Anja Knöchelmann ORCID logo EMAIL logo and Matthias Richter
From the journal Public Health Forum

Zusammenfassung

Mit Fortschreiten der Pandemie stellt sich heraus, dass nicht alle Personengruppen gleich von dem Virus betroffen sind. Soziale Ungleichheiten sind sowohl bei dem Infektionsrisiko, der Erkrankungsschwere und den Mortalitätsraten als auch bei den Folgen der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ersichtlich. Dabei haben sich sozioökonomische Faktoren sowie Alter und Geschlecht als relevant herausgestellt.

Abstract

The coronavirus was initially considered “the great leveler”. However, as the pandemic progresses, it is becoming apparent that not everyone is affected by the virus in the same way. Social inequalities are evident in the risk of infection, the severity of the disease, mortality rates, and in the consequences of the measures taken to prevent further spreading of the pandemic. Socio-economic factors as well as age and gender have proven to be relevant.

Hintergrund

Zu Beginn der Coronapandemie wurde angenommen, dass der Virus alle Menschen gleich betrifft. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass sich nicht alle Personengruppen gleich häufig mit dem Coronavirus infizieren. Vielmehr zeigt sich auch hier die bestehende Ungleichheit in der Verteilung von Gesundheit und Krankheit, die bereits vor der COVID-19 Pandemie galt: Wer arm ist, erkrankt auch häufiger [1]. Gleiches zeigt sich für niedrigeres Einkommen sowie niedrigere Bildungsabschlüsse [2] und für eine Vielzahl von Erkrankungen, wie z.B. Diabetes, koronare Herzkrankheiten oder Depressionen [3], [4]. Auch in Bezug auf andere Infektionskrankheiten wie der saisonalen Influenza oder der „Schweinegrippe“ (H1N1) sind bzw. waren soziale Unterschiede nachweisbar, wobei benachteiligte Gruppen häufiger betroffen sind bzw. waren [5].

Soziale Ungleichheit im Erkrankungsrisiko und der Erkrankungsschwere

Für Deutschland liegen bislang nur wenige Untersuchungen vor, die den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und dem Erkrankungsrisiko für COVID-19 beleuchten. In einer ersten Studie konnte gezeigt werden, dass Langzeitarbeitslose ein deutlich höheres Risiko eines Krankenhausaufenthaltes aufgrund einer COVID-19 Diagnose hatten als Erwerbstätige. Ähnliches, wenn auch weniger deutlich, galt für Personen, die ALG-I bezogen. Geschlechtsbezogene Unterschiede lagen dabei nicht vor [6]. Auf regionaler Ebene zeigte sich zu Beginn der ersten Welle eine höhere Verbreitung von SARS-CoV-2 Infektionen vorrangig in sozioökonomisch besser gestellten Regionen. Diese Entwicklung kehrte sich jedoch ab Mitte April um, zuungunsten von Gebieten mit größerer sozialer Benachteiligung [7]. Diese Entwicklung kann damit erklärt werden, dass es sich bei den ersten Patient:innen primär um Reiserückkehrer:innen handelte und die Infektionen anschließend vor allem Personen in benachteiligten Gruppen betrafen [7]. Eine höhere Suszeptibilität in der Gruppe der sozial Deprivierten liegt unter anderem darin begründet, dass diese häufiger in „systemrelevanten“ Berufen (z.B. Pflegekräfte, Supermarktmitarbeiter:innen) arbeiten, in denen eine Ansteckung aufgrund einer größeren Anzahl an Kontakten und der Schwierigkeit Abstände einzuhalten wahrscheinlicher ist [5], [8]. Die Möglichkeit der beruflichen Tätigkeit in Heimarbeit nachzugehen, um Kontakte zu vermeiden und das Ansteckungsrisiko zu minimieren, ist hingegen eher Arbeitnehmer:innen in höheren beruflichen Positionen vorbehalten [8], [9]. Zudem sind sozial benachteiligte Personen eher auf die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs angewiesen [5], [8]. Auch die Wohnverhältnisse tragen zu einem erhöhten Infektionsrisiko bei, da aufgrund beengter Wohnverhältnissen eine Isolation der Bewohner:innen beim Auftreten von COVID-19 Symptomen, entsprechend der Empfehlungen zur Eindämmung der Pandemie, deutlich erschwert wird [5]. Zudem kann eine gesteigerte Infektionsanfälligkeit vermutlich auf eine erhöhte Immunsuppression zurückgeführt werden, welche ebenfalls mit sozialer Benachteiligung einhergeht [5]. Diese ersten Ergebnisse aus Deutschland entsprechen internationalen Befunden, wonach höhere Infektionszahlen mit dem Coronavirus bei Personen in sozial benachteiligten Positionen besonders häufig auftreten [4], [10] was sich unter anderem auf häufigere Kontakte mit Infizierten zurückführen lässt [8].

Ähnlich wie bei den Erkrankungsrisiken lässt sich auch für die Erkrankungsschwere eine ungleiche Verteilung feststellen. Während Männer und Frauen in der ersten Welle in Deutschland ähnlich hohe Erkrankungsrisiken aufwiesen, wurden bei Männern häufiger schwere Verläufe und eine höhere Mortalität festgestellt als bei Frauen [11]. Auch das Alter spielt eine entscheidende Rolle in der Verteilung der Krankheitsschwere. Analysen der Meldungen laborbestätigter Coronainfektionen an das Robert Koch-Institut haben gezeigt, dass Patient:innen ab 60 Jahren deutlich häufiger schwere Krankheitsverläufe aufwiesen und an bzw. mit COVID-19 verstarben [11], [12]. In den Auswertungen stellte sich zudem heraus, dass sowohl Hospitalisierung als auch ein Aufenthalt auf der Intensivstation und Versterben deutlich mit dem Vorliegen von Vorerkrankungen (z.B. kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes und neurologische Störungen) zusammenhingen [11]. Da diese Erkrankungen einem sozialen Gradienten unterliegen, wonach in sozial benachteiligen Gruppen eine höhere Prävalenz für die genannten Erkrankungen vorliegt [3], kann dies zur Ausweitung gesundheitlicher Ungleichheit beitragen. Diese Befunde für Deutschland stimmen mit Ergebnissen aus internationalen Studien überein, wonach Männer eine höhere Krankheitsschwere und Mortalität aufwiesen [8], [13], [14] und sich ebenfalls altersbedingte Ungleichheiten in der Krankheitsschwere und Sterblichkeit fanden [8], [13], [14]. Zudem zeigte sich für Schweden, USA und UK ein Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Deprivation und Krankheitsschwere [4], [8], [14], der aufgrund der mangelnden Daten für Deutschland bislang nicht untersucht werden konnte. Darüber hinaus konnte in anderen Ländern ebenfalls der Zusammenhang zu kardiovaskulären Vorerkrankungen oder Diabetes gezeigt [4], [8], [13] und um Adipositas als bedeutsamen Faktor ergänzt werden [4], [13].

Soziale Ungleichheit in den zu erwartenden Folgen durch COVID-19

Neben der aktuellen Belastung durch COVID-19 ist auch davon auszugehen, dass die langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit ungleich verteilt sein werden. Dies ist zunächst durch eine direkte Auswirkung von COVID-19 auf die Gesundheit zu erwarten. Bereits jetzt konnte gezeigt werden, dass die Erholung von den Symptomen länger andauert und dabei mutmaßlich ungleich verteilt ist. Es ist anzunehmen, dass mit höherem Erkrankungsrisiko und -schwere mehr Langzeitfolgen einhergehen und damit auch eine höhere Krankheitslast und Auswirkung auf z.B. Erwerbsfähigkeit zu erwarten ist [12].

Zudem sind die Personen von den negativen Folgen der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unterschiedlich betroffen. Die Schließung vieler Geschäfte zu Beginn der Pandemie sowie erneut eingeführte Beschränkungen gehen mit vermehrter finanzieller Unsicherheit und Arbeitslosigkeit einher, was vor allem weibliche, junge Erwerbstätige mit niedrigem Lohn betrifft [8], [9], [13] und wiederum gesundheitliche Folgen nach sich zieht [15]. Zudem erfuhren Familien im Zuge der Schul- und Kitaschließungen eine Doppelbelastung aus Arbeit und Betreuung der Kinder [16], die auch in der zweiten Welle wieder auftritt. Entsprechend haben erste Ergebnisse gezeigt, dass vermehrt Stress und Symptome von Angst und Depression berichtetet werden [16], [17]. Die Schließung weiter Bereiche des öffentlichen Lebens und Kontaktbeschränkungen haben zudem zu vermehrter sozialer Isolation geführt [18], welche eng mit mentaler Gesundheit assoziiert ist [19]. Es ist anzunehmen, dass die Effekte im Sinne der Lebenslaufepidemiologie nicht nur kurzfristig sind und sich mit dem Ende der Pandemie neutralisieren, sondern dass sich diese einschneidenden Erfahrungen und Benachteiligungen auch auf die spätere Gesundheit auswirken werden.


*Korrespondenz: Dr. Anja Knöchelmann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Medizinische Soziologie, Magdeburger Str. 8, 06112 Halle/Saale, Germany

  1. Autorenerklärung

  2. Autorenbeteiligung: Alle Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. Finanzierung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Förderung erhalten haben. Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

  3. Author Declaration

  4. Author contributions: All authors have accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript and approved submission. Funding: Authors state no funding involved. Conflict of interest: Authors state no conflict of interest. Ethical statement: Primary data for human nor for animals were not collected for this research work.

Literatur

1. Lampert T, Hoebel J, Kroll L. Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland – Aktuelle Situation und Trends. J Health Monitor 2019;4:3–15.10.1515/pubhef-2018-0092Search in Google Scholar

2. Richter M, Hurrelmann K. Gesundheitliche Ungleichheit: Ausgangsfragen und Herausforderungen. In: Richter M, Hurrelmann K, editors. Gesundheitliche Ungleichheit. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. 2., aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH; 2009:13–33.10.1007/978-3-531-91643-9_1Search in Google Scholar

3. Lampert T, Kroll L. Armut und Gesundheit. GBE Kompakt 2010;5:1–9.10.1007/978-3-531-92790-9_32Search in Google Scholar

4. Singu S, Acharya A, Challagundla K, Byrareddy SN. Impact of Social Determinants of Health on the Emerging COVID-19 Pandemic in the United States. Frontiers in Public Health 2020;8:406. Available from: https://www.frontiersin.org/article/10.3389/fpubh.2020.00406.10.3389/fpubh.2020.00406Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

5. Bambra C, Riordan R, Ford J, Matthews F. The COVID-19 pandemic and health inequalities. J Epidemiol Community Health 2020;74:964–8.10.1136/jech-2020-214401Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

6. Dragano N, Rupprecht CJ, Dortmann O, Scheider M, Wahrendorf M. Higher risk of COVID-19 hospi-talization for unemployed: an analysis of 1,298,416 health insured individuals in Germany. (preprint) medRxiv 2020. Available from: https://www.medrxiv.org/con-tent/10.1101/2020.06.17.20133918v1.10.1101/2020.06.17.20133918Search in Google Scholar

7. Wachtler B, Michalski N, Nowossadeck E, Diercke M, Wahrendorf M, Santos-Hövener C, et al. Sozio-ökonomische Ungleichheit im Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2 – Erste Ergebnisse einer Analyse mit Meldedaten für Deutschland. J Health Monitor 2020;5(S7):19–31.Search in Google Scholar

8. Blundell R, Costa Dias M, Joyce R, Xu X. COVID-19 and Inequalities*. Fiscal Studies 2020;41:291–319.10.1111/1475-5890.12232Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

9. Schröder C, Entringer T, Goebel J, Grabka MM, Graeber D, Kroh M, et al. Vor dem Covid-19-Virus sind nicht alle Erwerbstätigen gleich; 2020. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research 1080.Search in Google Scholar

10. Hoffmann B, Dragano N, Bolte G, Butler J, Icks A, Knöchelmann A, et al. Hintergrundpapier: Indirekte Gesundheitsfolgen der aktuellen Maßnahmen zum Infektionsschutz in Deutschland: Ökonomie, psychosoziale Belastung und Umwelt; 2020 [cited 2020 May 29].Search in Google Scholar

11. Schilling J, Lehfeld A-S, Schumacher D, Ulrich A, Diercke M, Buda S, et al. Krankheitsschwere der ersten COVID-19-Welle in Deutschland basierend auf den Meldungen gemäß Infektionsschutzgesetz. J Health Monitor 2020;5(S11):1–20.Search in Google Scholar

12. Vorstand des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Strategische Ausrichtung zur Bewältigung der SARS-2 Pandemie; 2020 [cited 2020 Dec 2]. Available from: https://www.zi.de/fileadmin/images/content/PMs/Strategische_Ausrichtung_zur_Bewaelti-gung_der_SARS_2_Pandemie.pdf.Search in Google Scholar

13. Burström B, Tao W. Social determinants of health and inequalities in COVID-19. Eur J Public Health 2020;30:617–8.10.1093/eurpub/ckaa095Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

14. Drefahl S, Wallace M, Mussino E, Aradhya S, Kolk M, Brandén M, et al. A population-based cohort study of socio-demographic risk factors for COVID-19 deaths in Sweden. Nat Commun 2020;11:5097.10.1038/s41467-020-18926-3Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

15. Kim TJ, von dem Knesebeck O. Perceived job insecurity, unemployment and depressive symptoms: a systematic review and meta-analysis of prospective observational studies. Int Arch Occup Environ Health 2016;89:561–73.10.1007/s00420-015-1107-1Search in Google Scholar PubMed

16. Peters A, Rospleszcz S, Greiser KH, Dallavalle M, Berger K. The impact of the COVID-19 pandemic on self-reported health. Deutsches Aerzteblatt Online 2020.10.3238/arztebl.2020.0861Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

17. O’Connor RC, Wetherall K, Cleare S, McClelland H, Melson AJ, Niedzwiedz CL, et al. Mental health and well-being during the COVID-19 pandemic: longitudinal analyses of adults in the UK COVID-19 Mental Health & Wellbeing study. Br J Psychiatr 2020:1–8. Available from: https://www.cambridge.org/core/article/mental-health-and-wellbeing-during-the-covid19-pan-demic-longitudinal-analyses-of-adults-in-the-uk-covid19-mental-health-wellbeing-study/F7321CBF45C749C788256CFE6964B00C.10.1192/bjp.2020.212Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

18. Bu F, Steptoe A, Fancourt D. Who is lonely in lockdown? Cross-cohort analyses of predictors of loneliness before and during the COVID-19 pandemic. Public Health 2020;186:31–4.10.1016/j.puhe.2020.06.036Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

19. Leigh-Hunt N, Bagguley D, Bash K, Turner V, Turnbull S, Valtorta N, et al. An overview of systematic reviews on the public health consequences of social isolation and loneliness. Public Health 2017;152:157–71.10.1016/j.puhe.2017.07.035Search in Google Scholar PubMed

Online erschienen: 2021-03-06
Erschienen im Druck: 2021-03-26

©2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 20.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/pubhef-2020-0106/html
Scroll to top button