Hyperferritinämie: Ein prognostischer Marker – auch bei COVID-19

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.01.02

Die Indikation zur Bestimmung von Ferritin im Serum war bis zum Ausbruch der Covid-19-Pandemie vorwiegend bedeutsam zur Beurteilung des Eisenhaushalts. Niedrige Werte waren ein Indikator für Eisenmangel, hohe hinweisend auf eine Eisenüberladung. Unabhängig vom Eisenstoffwechsel ist der Ferritinwert aber auch ein prognostischer Marker bei der Covid-19-Erkrankung. Werte innerhalb des Referenzbereichs sprechen für eine milde Erkrankung, die Hyperferritinämie jedoch für die progressive Form.

Schlüsselwörter: H-Kette, L-Kette, SARS-CoV-2, Hepcidin, Zytokine, Hyperferritin-Syndrom

Pathophysiologie von Ferritin

Ferritin ist ein ubiquitäres Protein mit einem Molekulargewicht von 450 kD, das im Wesentlichen die Hepcidin-induzierte Speicherung von Eisen reguliert. Ferritin wird durch unterschiedliche Gene kodiert und in den Hepatozyten und den Vorstufen der Erythropoese gebildet. Das Molekül besteht aus 24 elliptoid gefalteten Peptidketten, die durch nicht-kovalente Bindungen verknüpft sind. Die 24 Unter­einheiten bilden die 10 Angstroem dicke Wand einer Kugel mit einem Innendurchmesser von etwa 80 Angstroem (Apoprotein).
Es werden zwei Formen von Untereinheiten unterschieden: die Heavy(H)-Kette und die Light(L)-Kette (Abb. 1). Die H-Kette hat Ferrioxidase-Aktivität und partizipiert an der Oxidation von Eisen, während die L-Kette die Form der Kugel stabilisiert. Unterschieden werden:
die Eisen- und Hepcidin-abhängige Regulation von intrazellulärem Ferritin. Hepcidin reguliert den Austritt von Eisen aus den Zellen in das Blut durch Bindung an Ferroportin und bewirkt dessen Degradation;
die Regulation der Bildung von Ferritin durch intrazelluläres Eisen.
Regulation der intrazellulären Ferritinsynthese nach Hepcidin-induzierter intrazellulärer Vermehrung von Eisen

 

Die Kugelwand von Ferritin besteht aus Peptidketten und hat zwei Typen von Kanälen, durch die bis zu 4.500 Eisenatome in das Innere der Kugel eintreten und dort als Fe3+-Ionen gespeichert werden können. Jede kernhaltige Körperzelle importiert, exportiert und speichert Eisen in Form von Ferritin [1]. Der intrazelluläre Eisenhaushalt wird mittels intrazellulärer Iron Regulatory Proteins (IRPs) und Iron Responsive Elements (IREs) reguliert. Das IRP-IRE-System kontrolliert den zellulären Import, Export und die Speicherung von Eisen. Die intrazelluläre Biosynthese von Ferritin wird translational durch den intrazellulären zytoplasmatischen freien Eisengehalt reguliert. Bei intrazellulär erhöhtem Eisen bindet IRP nicht an die 5‘translatierte IRE der messenger RNA der H-Kette von Ferritin. Daraus resultiert die vermehrte Bildung von Ferritin [2]. Der Umsatz von Ferritin erfolgt durch das Transportmolekül Nuclear Receptor Co-Activator (NCOA) 4, das Ferritin zur lysosomalen Degradation führt [3].
Das im Serum gelöste Ferritin enthält nur eine geringe Menge an Eisen im Vergleich zum Ferritin in den Geweben beim normalen Eisenhaushalt. Die Konzentrationen von Ferritin im Serum betragen bei einen Gesamtkörper-Eisenmangel < 15 µg/l, bei der behandlungsbedürftigen Eisenmangelanämie < 30 µg/l, bei der Anämie chronischer Erkrankungen > 100 µg/l, bei der Eisenüberladung > 400 (500) µg/l. Bei Werten bis 1.000 µg/l erfolgt die Eisenspeicherung vorwiegend in der Leber und dem Knochenmark und bei Werten darüber zusätzlich noch in den parenchymatösen Organen (Pankreas, Testes). Innerhalb des Referenzbereichs von 30–200 µg/l sind etwa 10 µg/l Ferritin im Serum repräsentativ für 1 g als Ferritin gespeichertes Eisen.
Aufgrund der Reaktionszeit von über 72 Stunden und der Höhe des Anstiegs ist Ferritin ein Akute-Phase-Protein, das vorwiegend bei chronischer Entzündung bis um den Faktor 2 ansteigt.
Die Bestimmung von Ferritin im Serum ist von Bedeutung (Tab. 1):

  • zur Diagnostik des Körpereisenmangels;
  • zur Behandlung der Eisenmangelanämie;
  • in der Abgrenzung der Eisenmangelanämie von der Entzündungs- und Tumor­anämie;
  • zur Diagnostik des Eisenmangels bei der Entzündungs- und Tumoranämie;
  • bei der Eisenüberladung inklusive genetischer Ursachen, z. B. hereditärer Hämochromatose;
  • beim multisystemischen Inflammationssyndrom;
  • zur Beurteilung des Schweregrades einer Covid-19-Infektion bei Hyperferritinämie.

 

Eisen-unabhängige Regulation von Ferritin

Tumornekrosefaktor-α (TNF) ist ein Zytokin, das von aktivierten Makrophagen und T-Zellen gebildet wird. In Hepatozyten induziert IL-1β posttranskriptional die Synthese von H- und L-Ketten und der Bildung von Ferritin abhängig vom Angebot an Eisen (auch als Ferritin-1 bezeichnet). Das ist aber nicht der Fall in Muskelzellen, Adipozyten und Fibroblasten. In diesen Zellen erhöhen aktvierter TNF und Interleukin-1a selektiv die Konzentration der H-Kette, nicht aber der L-Kette durch Erhöhung der Translation von präexistierender mRNA von Ferritin [4]. Dadurch wird die Zusammensetzung von Ferritin moduliert (auch als Ferritin-2 bezeichnet) und kein Eisen gespeichert. Die Deletion der H-Kette ist mit dem Leben nicht vereinbar.
Nachfolgend werden nur die Störungen des Eisenstoffwechsels mit Hyperferritinämie abgehandelt.

Entzündungs- und Tumoranämie

Proinflammatorische Zytokine wie IL-6 und IL-1β werden bei chronischer Inflammation (chronischer Infektion, metastasiertem Karzinom, Autoimmunerkrankung und chronischer Nierenerkrankung) freigesetzt. Es resultiert die vermehrte Bildung von Hepcidin, dem systemischen Regulator der Eisenhomöostase, mit einer vermehrten Eisenspeicherung von Ferritin in den Zellen der Gewebe und einer verminderten enteralen Absorption von Eisen. Inflammatorische Stimuli induzieren besonders die Freisetzung von H- und L-Ketten und die Synthese von Ferritin.  Eine Mikrozytose, bedingt durch Eisenmangel der Erythropoese, erfolgt bei längerdauernder chronischer Entzündung, bei der eine hohe Ausschüttung von IL-6 die Synthese von Hepcidin verstärkt und somit vermehrt Eisen in Form von Ferritin intrazellulär gespeichert wird [5].

Hyperferritinämie-Syndrome

Das Hyperferritinämie-Syndrom ist ein Oberbegriff, der die folgenden vier klinischen Zustände betrifft, die mit einer erhöhten Konzentration an Ferritin im Serum einhergehen: das Makrophagen-Aktivierungs-Syndrom (MAS), das akute Still-Syndrom des Erwachsenen (AOSD), das katastrophale Anti-Phospholipid-Syndrom (CAPS) und den septischen Schock [6]. Alle Zustände gehen mit einer Hyper­inflammation einher, bedingt durch einen Zytokinsturm (cytokine storm). In erhöhter Konzentration gemessen werden können IL-1β, IL-1Ra, IL-8, IL-9, IL-10, Fibroblast Growth Factor (FGF), Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor (GCSF), Interferon-gamma-stimulierendes Protein (IP-10), Monozyten-chemotaktisches Protein-1 (MCP-1), Makrophagen-inflammatorisches Protein-1α (MIP-1α), Platelet-derived Growth Factor (PDGF), Tumornekrosefaktor alpha (TNF) und Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF).
Bei schweren Fällen sind IL-2, IL-7, IL-10, GCSF und TNF besonders hoch. Die hohen Werte von Ferritin scheinen nicht die Akute-Phase-Reaktion zu reflektieren, sondern spielen eine Rolle bei der Inflammation. Es wird angenommen, dass die H-Kette des Ferritins proinflammatorisch wirkt und diese Funktion mit der Expression von inflammatorischen Proteinen wie IL-1ß in Gang gesetzt wird. Die Hyperferritinämie resultiert aus der durch IL-1ß aus Makrophagen vermehrten Sekretion von H-Ketten, unabhängig vom Eisenhaushalt des Organismus. Eine weitere Ursache könnte der verstärkte Zelltod bei Inflammation sein. Dabei freigesetztes Ferritin verliert sein Eisen, woraus eine erhöhte Eisenkonzentration im Serum resultiert.
Eigene Untersuchungen zeigen, dass ohne Vorliegen der für das Hyperferritinämie-Syndrom bekannten Zustände auch bei älteren Personen mit unklarem Krankheitsbild mit oder ohne Erhöhung von C-reaktivem Protein, aber teilweise mit erhöhter Blutsenkungsreaktion und normozytärer normochromer Anämie, nicht erklärbare Ferritinwerte im Serum bis 500 µg/l auftreten können [7]. Die Untersuchung auf Hämochromatose ist in diesen Fällen negativ.

Covid-19-Infektion und Hyperferritinämie

SARS-CoV-2-infizierte Patienten mit akutem respiratorischem Syndrom und bei schwerem Verlauf haben eine Pneumonie und eine Schädigung von Leber, Herz und Nieren. Ursache ist ein inflammatorischer Zytokinsturm mit der exzessiven und unkontrollierten Freisetzung proinflamma­torischer Zytokine [8]. Die Konzentration von Ferritin im Serum ist ein Kriterium der Progression [9]. Bei Einlieferung in die Klinik hatten Patienten mit mildem Verlauf eine Ferritinkonzentration im Serum von 30–400 µg/l, aber bei Werten über 400 µg/l lag ein schwerer Verlauf vor. Meist betrug die Konzentration sogar über 800 µg/l. Bei Besserung des Zustandes fielen die Konzentrationen von Ferritin und IL-6. Patienten, die nicht überlebten, hatten bei Einlieferung in die Klinik einen Wert von über 1.400 µg/l [8]. Andere Autoren berichten von einer über 5-fachen Erhöhung gegenüber dem Ausgangswert [9].
Es wird angenommen, dass bei schwerer Infektion der Lunge bei SARS-CoV-2 die Expression von Zytokinen aus Makrophagen (auch als Makrophagen-Syndrom bezeichnet) die Synthese der H-Kette des Ferritins stimulieren (also Ferritin-2 bilden) und diese wiederum aufgrund ihrer Bindung an die Immunglobulindomäne der T-Zelle (TIM)-1 die Freisetzung von Zytokinen bewirken. Es wird vermutet, dass Ferritin primär den inflammatorischen Weg stimuliert und die daraus resultierende Hyperferritinämie als Beschleuniger der Inflammation bei SARS-CoV-2-Infektion wirkt [10].
Nach einer Studie in den USA [11] hatten SARS-CoV-2-infizierte Kinder und Heranwachsende mit inflammatorischem Syndrom Ferritinwerte > 500 µg/l und weitere pathologische Inflammationsmarker wie erhöhtes CRP, eine erhöhte Blutsenkungsreaktion, Neutrophilie und Lymphopenie.

Zusammenfassend repräsentieren Ferritinwerte von:

  • bis 400 µg/l die Eisenspeicher des Organismus (Ferritin 1);
  • über 400 µg/l die Eisenspeicher und/oder Inflammation (Ferritin-1 und -2);
  • über 1.000 µg/l die Hyperinflammation, wenn die Inflammationsmarker pathologisch sind, z. B. erhöht IL-6, CRP, BSG, Granulozytenzahl (vorwiegend Ferritin-2).      

 

Autoren
Prof. Dr. med. Lothar Thomas
Universitätsklinikum Frankfurt Zentrum der Inneren Medizin, Zentrallabor
Dr. med. Gudrun Hintereder
Universitätsklinikum Frankfurt Zentrum der Inneren Medizin, Zentrallabor
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