In der folgenden Übersicht werden die potenziellen psychischen Akut- und Langzeitfolgen einer COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Erkrankung dargestellt und die Auswirkungen der Maßnahmen zur Pandemieeindämmung als mögliche Ursache psychischer Störungen bzw. zusätzliche Belastungsfaktoren für Menschen mit psychischen Erkrankungen erörtert. Während im Fokus bisheriger Forschung affektive Störungen und akute Stressreaktionen als Folge der COVID-19-Pandemie stehen, wurden andere Krankheitsbilder wie Schizophrenie, kognitive Störungen und Demenz sowie Abhängigkeitserkrankungen weniger beachtet. Aus diesem Grund wird hier auf die Auswirkungen der Pandemie in erster Linie auf diese Krankheitsbilder eingegangen.

Methode

Die Literatursuche erfolgte via PubMed sowie anhand von Literaturverzeichnissen gefundener Original- und Übersichtsarbeiten. Suchbegriffe waren: „schizophrenia AND covid“, „psychosis AND covid“, „dementia AND covid“, „dementia AND covid AND study“, „delirium AND covid AND study“, „addiction AND covid“ and „substance use disorders AND covid“.

Folgen der COVID-19-Pandemie für Menschen mit einer Schizophrenie

Pandemieassoziierte psychotische Störungen

Die virale Hypothese bezüglich der Entstehung der Schizophrenie ist seit Jahrzehnten bekannt [1]. Bereits nach der Spanischen-Grippe-Pandemie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde eine Zunahme von Psychosen im späteren Lebensalter als Folge mütterlicher Infektionen während des 2. Trimesters der Schwangerschaft beobachtet. Erhöhte virale Antikörpertiter nach einer Virusinfektion durch Masern, Röteln, Varizellen, Zoster, Polio und Herpes bei Patienten mit Schizophrenie unterstützen diese Hypothese.

Severance et al. berichteten 2011 über den Zusammenhang zwischen einer Infektion durch Coronaviren und psychotischen Symptomen, indem sie die Immunoglobulin-G(IgG)-Reaktion gegen vier humane Coronavirusstämme bei Patienten mit psychotischer Erkrankung im Vergleich zu gesunden Kontrollen bestimmten und signifikant erhöhte IgG-Werte für zwei Coronavirusstämme (HKU1 und NL63) bei Patienten mit psychotischen Symptomen im Vergleich zu Kontrollprobanden zeigen konnten. Dies könnte darauf hindeuten, dass Coronaviren Risikofaktoren für neuropsychiatrische Erkrankungen sein könnten [2].

Die aktuelle Pandemie, bei der sich das SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) weltweit ausbreitet, zeigt ähnliche Ergebnisse. Es gibt Hinweise auf neu auftretende Psychosen nach viraler Exposition, die möglicherweise auf eine neuronale Entzündung in relevanten Hirnregionen wie im präfrontalen, temporalen und parietalen Kortex zurückzuführen sind [3]. Fallberichten zufolge sind wahnhafte Symptome häufig inhaltlich mit COVID-19 verbunden [4]. Zusätzliche Stressoren wie Isolation mit Kontaktbeschränkungen sowie Vereinsamung, Einkommensverluste und Arbeitslosigkeit können als weitere Umweltfaktoren maßgeblich an der Entwicklung psychotischer Störungen beteiligt sein [5]. Im Laufe der Zeit werden epidemiologische Daten zeigen, ob ähnlich wie nach der Influenzapandemie 1918/19 Schizophreniespektrumstörungen nach schweren Virusinfektionen zunehmen werden.

Soziale Isolation als pandemieassoziierte Belastung

Die soziale Isolierung ist eine wichtige und unersetzliche Maßnahme zur Kontrolle der Ausbreitung der Pandemie und wirkt sich als zentraler Belastungsfaktor auf Menschen mit einer Schizophrenie aus. Auch die Aufrechterhaltung der psychiatrischen Versorgung in der COVID-19-Pandemie ist deutlich erschwert. Reduzierte Therapieprogramme, eingeschränkte Besuchsregeln und Belastungserprobungen, erkranktes Personal sowie Quarantäneverordnungen können psychiatrische Krankenhäuser daran hindern, ihre Patienten angemessen und ausreichend zu versorgen.

Für Patienten mit einer Schizophrenie können diese Maßnahmen fatale Folgen haben. Sie gelten als besonders gefährdet in der COVID-19-Pandemie. Menschen, die an einer Schizophrenie leiden, sind häufig von chronischen Krankheitsverläufen und einer reduzierten mittleren Lebenserwartung betroffen [6]. Ihr Zugang zu Wohn- und Bildungseinrichtungen und Aktivitäten sowie ihre sozialen Kontakte sind oft aufgrund ihrer mangelnden Kommunikationsfähigkeit und zwischenmenschlichen Fähigkeiten eingeschränkt. Durch ihre antipsychotische Medikation leiden sie häufig an einem metabolischen Syndrom, weshalb sie als Risikopatienten im Hinblick auf eine COVID-19-Erkrankung eingestuft werden. Eine weitere Herausforderung, die dringend der Aufmerksamkeit bedarf, sind die bisher unbekannten Auswirkungen der COVID-19-Erkrankung auf Menschen mit einer Schizophrenie hinsichtlich der Schwere der Symptome, der Rückfälle und der Notwendigkeit einer erhöhten Häufigkeit und Intensität der psychiatrischen Versorgung [7].

Soziale Isolation erhöht insbesondere den Leidensdruck bei stationären Patienten

Die Auswirkungen der sozialen Isolation bei Patienten mit Schizophrenie sind relevant und erhöhen insbesondere den Leidensdruck bei stationär behandelten Patienten mit einer Schizophrenie [8]. Bisherige Forschungsergebnisse konnten erhöhte Entzündungswerte (C-reaktives Protein), erhöhte Werte in der Hamilton Depression Scale (HAMD), der Hamilton Anxiety Scale (HAMA) und dem Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI) bei isolierten Patienten mit Schizophrenie im Vergleich zur nicht isolierten Kontrollgruppe zeigen. Dabei ist der PSQI ein gut etablierter Selbstbefragungsbogen zur Untersuchung der Schlafqualität und Unterscheidung von „guten“ und „schlechten“ Schläfern [9]. Unseres Wissens fehlen bisher Untersuchungen, die spezifische Assessments für Schizophrenie, wie z. B. die Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS) oder Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS), verwenden. Insgesamt führte eine soziale Isolation zu einer Verschlechterung der psychischen Symptomatik der Patienten. Vor diesem Hintergrund gelten psychiatrische Kliniken als wesentliche und unverzichtbare Elemente der medizinischen Versorgung. Daher ist es unerlässlich, die Funktionsfähigkeit psychiatrischer Krankenhäuser zu erhalten.

Pandemieassoziierte Einschränkungen in der Psychopharmakotherapie

Die Pandemie hat auch Auswirkungen auf die Psychopharmakotherapie der Schizophrenie. Die medikamentöse Behandlung einer Schizophrenie steht mit Veränderungen in drei Neurotransmittersystemen in Zusammenhang: dopaminerges, glutamaterges und serotonerges System. Bei den Antipsychotika der zweiten Generation („atypische Neuroleptika“) handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Medikamenten mit verschiedenem Rezeptorbindungsprofil. Sie wirken weniger im Bereich der D2-Rezeptoren-Blockade und verursachen deshalb weniger starke extrapyramidalmotorische Störungen. Sie entfalten ihre Wirkung vielmehr an den D1-, D4- und 5‑HT2A-Rezeptoren und reduzieren auch die Negativsymptomatik der Schizophrenie [10]. Die Blockade von H1-Rezeptoren sowie von α1- und α2-Adrenorezeptoren erklären die unerwünschten Arzneimittelwirkungen dieser Medikamente: Gewichtszunahme, metabolisches Syndrom, Sedierung, Akathisie und orthostatische Dysregulation [10].

Verminderte psychiatrische Versorgung erschwert wichtige Routineuntersuchung

Kontroversen sind in der psychiatrischen Therapie häufig, es besteht jedoch eine weitgehende Einigkeit über die besondere Rolle von Clozapin bei der Behandlung einer schweren refraktären Schizophrenie. Clozapin ist ein D2- und 5‑HT2A-Rezeptor-Antagonist sowie ein 5‑HT1A-Rezeptor-Agonist. Zudem bindet es an die α‑adrenergen sowie an muskarinische cholinerge Rezeptoren [10]. Nebenwirkungen sind Stoffwechselstörungen (Typ-2-Diabetes, Gewichtszunahme, Dyslipidämie) und kardiovaskuläre Störungen wie die Verlängerung des QT-Intervalls in der Elektrokardiographie sowie neurologische (Senkung der Anfallsschwelle) und hämatologische (Agranulozytose) Komplikationen. Gerade wegen des Risikos einer Clozapin-assoziierten schweren Agranulozytose ist eine regelmäßige Verlaufskontrolle die Voraussetzung für die Verabreichung von Clozapin auch während der Pandemie. Einschränkungen in der psychiatrischen Versorgung können jedoch den Zugang zu routinemäßigen Untersuchungen deutlich erschweren. Ein (abruptes) Absetzen von Clozapin birgt ein erhebliches Risiko für ein Rezidiv oder eine Verschlechterung des Schweregrads der Erkrankung und muss deshalb unbedingt vermieden werden [11].

Wenn während der Clozapin-Therapie Symptome einer grippalen Infektion wie Husten, Fieber, Schüttelfrost und Halsschmerzen auftreten, ist eine dringende ärztliche Beurteilung einschließlich eines vollständigen Blutbildes erforderlich. Es gibt nur begrenzte Informationen über die Auswirkungen des SARS-CoV-2-Virus auf die Neutropenie bei Personen, die Clozapin einnehmen [12], aber virale Erkrankungen können im Allgemeinen eine Neutropenie verursachen. Demnach könnte COVID-19 zusätzlich zu Clozapin zu einer Neutropenie führen. In diesem Fall kann die Clozapin-Dosis vorübergehend auf die Hälfte der ursprünglichen Dosis reduziert werden [11]. Ein komplettes Absetzen des Medikamentes muss im Regelfall nicht erfolgen. Im Falle einer bakteriellen Superinfektion sollte eine kalkulierte antibiotische Behandlung durchgeführt werden.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend stellt die SARS-CoV-2-Pandemie mit den langandauernden Kontaktbeschränkungen eine besondere Belastung für Menschen mit einer Schizophrenie dar und führt zu erhöhtem Leidensdruck durch limitierte psychiatrische, psycho- und sozialtherapeutische Behandlungsangebote. Ob eine Infektion mit SARS-CoV‑2 ebenso, wie bereits für andere Coronaviren gezeigt, die Entstehung einer Schizophrenie begünstigt und/oder deren Exazerbation, ist Gegenstand der aktuellen Forschung. Bisher fehlen Untersuchungen, die spezifische Assessments für Schizophrenie, wie z. B. den PANSS oder BPRS, verwenden und sollten zukünftig zur Quantifizierung der Symptomschwere und -dauer in Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie und COVID-19-Erkrankung bei Patienten mit einer Schizophrenie untersucht werden. Da virale Erkrankungen und im speziellen SARS-CoV‑2 eine Neutropenie verursachen können, ist ein erhöhtes Monitoring bei der Verordnung von Psychopharmakotherapie mit einem erhöhten Agranulozytoserisiko, wie z. B. durch Clozapin, indiziert und stellt das psychiatrische Gesundheitssystem aufgrund der Kontaktbeschränkungen vor erhebliche Herausforderungen.

Folgen der Covid-19-Pandemie für ältere Patienten mit kognitiven Störungen und Demenzerkrankungen

Die COVID-19-Pandemie hat den Alltag vieler Menschen bereits erheblich verändert und zu einer Unterbrechung alltäglicher Routinen in allen Altersklassen geführt. Ihre drastischen Auswirkungen auf das soziale Leben sowie die direkten und indirekten Effekte einer SARS-CoV-2-Infektion beeinträchtigen jedoch insbesondere die psychische und körperliche Gesundheit hochvulnerabler, älterer Patienten mit kognitiven Störungen und Demenzerkrankungen [13].

Infektionsrisiko und Folgen der sozialen Restriktionen

Patienten mit Demenzerkrankungen haben einen begrenzten Zugang zu relevanten Informationen bezüglich der Pandemie sowie Schwierigkeiten, Maßnahmen zum Infektionsschutz zu erinnern und Quarantänemaßnamen adäquat umzusetzen, was das Infektionsrisiko dieser Patientengruppe deutlich erhöht [14]. Darüber hinaus können häufige Begleitsymptome wie Depressivität und Apathie eine geringere Adhärenz bezüglich der Hygieneregeln bedingen [15]. Insbesondere kognitive Beeinträchtigungen zeigten robuste Zusammenhänge mit einer COVID-19-Hospitalisierung [16].

Soziale Deprivation führt zu einer Zunahme neuropsychiatrischer Symptome

Patienten mit Demenzerkrankungen haben häufig wenig soziale Bezüge und verfügen in der Regel über ein nur geringes Wissen hinsichtlich moderner Telekommunikationsmöglichkeiten, weshalb behördlich bestimmte Besuchsverbote in Pflegeheimen und Ausgangssperren beim älteren Menschen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zur sozialen Isolation führen [14]. Diese soziale Deprivation bedingt häufig eine Verschlechterung des kognitiven Funktionsniveaus und eine Neumanifestation oder Zunahme neuropsychiatrischer Symptome [13]. Neuropsychiatrische Symptome von Demenzpatienten während COVID-19-Pandemie-bedingter Restriktionen sind detailliert beschrieben worden [17]. Relevant sind hier Symptome wie Agitation, Ängstlichkeit, Apathie, Depressivität und Irritabilität [18, 19], wobei die Apathie das häufigste neuropsychiatrische Symptom darstellt [20].

Befragungen pflegender Angehörige von Patienten mit MCI („mild cognitive impairment“) und Demenzerkrankungen ergaben, dass es während des Lockdowns zu einer signifikanten, allgemeinen Funktionsverschlechterung kam [21]. Insbesondere wurden Verschlechterungen in den Domänen Kommunikation, Bewegung, Stimmung und Kooperativität berichtet, was mit einer deutlichen Zunahme der Belastung der Angehörigen einherging [21]. Auch zunehmende Depressivität und Angstsymptome bei pflegenden Angehörigen während Lockdown und Quarantäne wurden beschrieben [22]. Die momentane Begrenzung ambulanter Hilfsangebote zur Entlastung der Angehörigen lässt die Versorgung von Patienten mit Demenzerkrankungen ebenfalls zu einer immensen Herausforderung werden.

Mortalität und Folgen einer COVID-19-Erkrankung

Patienten mit Demenzerkrankungen weisen zudem ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Erkrankungsverläufe einer SARS-CoV-2-Pneumonie auf. Bei etwa einem Sechstel der COVID-19-assoziierten Todesfälle handelt es sich um Patienten mit Demenzerkrankungen [23]. Neben chronischen pulmonalen Erkrankungen zählen das Alter und die Alzheimer-Demenz zu den bedeutsamsten Mortalitätsfaktoren einer SARS-CoV-2-Pneumonie [19, 23, 24]. Eine retrospektive Analyse einer italienischen Patientenkohorte zeigte beispielsweise eine deutlich höhere Sterblichkeit bei Patienten mit Demenz im Vergleich zu kognitiv gesunden Patienten (OR 1,84; p < 0,001; [25]). Diesbezüglich muss jedoch auch das erhöhte Mortalitätsrisiko im Rahmen der häufigen Komorbiditäten arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung und Diabetes mellitus berücksichtigt werden [24, 26]. Die beschriebenen Assoziationen zwischen dem Vorliegen eines Apolipoprotein-E4(ApoE4)-Allels und einer deutlich erhöhten Mortalität im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung lassen jedoch vermuten, dass die erhöhte Sterblichkeit nicht alleinig auf das Alter und die begleitenden Komorbiditäten zurückzuführen ist [27].

Darüber hinaus erleiden ältere Patienten häufiger neuropsychiatrische Komplikationen im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion. Eine Analyse von über 40.000 COVID-19-Patienten zeigte neuropsychiatrische Manifestationen bei 22,5 % der COVID-19-Patienten [28]. Zu nennen sind vor allem Insomnien, Depressionen, Kopfschmerzen und Enzephalopathien [28, 29]. Die potenziell irreversiblen kognitiven Defizite bei älteren Patienten nach durchgemachter COVID-19-Erkrankung sind annehmbar multifaktorieller Genese [29]. Als diesbezüglich relevante Faktoren sind langwierige Aufenthalte auf Intensivstationen mit invasiver Beatmung, sedierende Substanzen, eine systemische Inflammation, zerebrale Hypoxie sowie andere Organdysfunktionen und dyskognitive Effekte von Medikamenten zum Management der COVID-19-Erkrankung zu nennen [29].

Das hypoaktive Delir ist eine häufige Komplikation bei akuter SARS-CoV-2-Infektion

Daneben sind auch direkte Effekte durch die neuroinvasiven Eigenschaften von SARS-CoV‑2 sowie indirekte Effekte durch zerebrale Ischämien im Rahmen der SARS-CoV-2-induzierten endothelialen Dysfunktion zu berücksichtigen [29]. Während der akuten SARS-CoV-2-Infektion bei Patienten mit Demenz stellt zudem das hypoaktive Delir eine häufige Komplikation dar [25], welches in der Initialphase der Erkrankung klinisch nur schwer von einer Apathie abzugrenzen ist, die im Rahmen sozialer Deprivation ebenfalls häufig beobachtet wird. Diese häufig atypische Manifestation einer COVID-19-Erkrankung erschwert eine frühe Diagnosestellung und verzögert somit die Einleitung einer entsprechenden Therapie, was wiederum zu einer Verschlechterung der Prognose beitragen kann [29]. Neben dem gehäuften Auftreten hypoaktiver Delirien weisen Patienten mit Demenz und COVID-19-Erkrankung seltener typische Leitsymptome wie Husten und Dyspnoe auf [23], was eine rechtzeitige Diagnosestellung zusätzlich erschwert und auch das Ergreifen von Infektionsschutzmaßnahmen verzögert.

Perspektive

Sowohl die präventiven Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie als auch die unmittelbaren Folgen einer Infektion treffen Patienten mit Demenzerkrankungen besonders hart. Die Schließungen von Tagespflegeeinrichtungen sowie mehrmonatige Besuchsverbote in Pflegeheimen haben zu drastischen Einschränkungen in der Versorgung von Patienten mit Demenz und auch zu einer erheblichen Reduktion von Unterstützungsangeboten für pflegende Angehörige geführt [30]. Der Einsatz telekommunikativer Strategien ist bei diesem Patientenklientel meist in nur sehr begrenztem Umfang möglich. Auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung ist damit zu rechnen, dass das gegenwärtige Umlenken von Ressourcen im Gesundheitssystem annehmbar wahrscheinlich zu einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung von Patienten mit Demenz führen wird [15, 29]. Insbesondere die ambulante Demenzdiagnostik unterliegt in einer Pandemie, im Vergleich zu anderen Bereichen, disproportionalen Restriktionen, denn das aktuelle Infektionsrisiko im Rahmen wiederholter ambulanter Termine für Labordiagnostik, zerebrale Bildgebung und differenzierende Testpsychometrie übersteigt möglicherweise den klinischen Nutzen einer frühen Demenzdiagnose und eines zeitgerechten klinischen Monitorings [15].

Im bisherigen Verlauf der Pandemie waren die meisten COVID-19-assoziierten Todesfälle bei Patienten aus Pflegeeinrichtungen zu verzeichnen, in denen zu einem großen Anteil Patienten mit Demenzerkrankungen leben. Dies verdeutlicht die unbedingt notwendige Intensivierung von Präventionsmaßnahmen und die konsequente Umsetzung von Hygienekonzepten zum Schutz dieses vulnerablen Patientenklientels [29]. Es bedarf hier jedoch einer wohlüberlegten Abwägung zwischen der unbedingt notwendigen Prävention von Infektionen einerseits und der Zumutbarkeit der veranlassten Maßnahmen auf der anderen Seite.

Auch die Therapie einer COVID-19-Erkrankung bei Patienten mit Demenzerkrankungen stellt, in Anbetracht der hohen Mortalität und auch vor dem Hintergrund der häufig irreversiblen kognitiven Befundverschlechterung im Rahmen einer SARS-CoV-2-Pneumonie, eine immense klinische und medizinethische Herausforderung für die Behandler dar. Die aktuell medial häufig lebhaft diskutierte Frage der Triage von COVID-19-Patienten muss in Anbetracht steigender Fallzahlen und begrenzter Intensivbehandlungskapazitäten diskutiert werden. Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten können ärztlichen Behandlern insbesondere in dieser Situation als wichtige Entscheidungshilfen dienen. Es bleibt zu hoffen, dass die nun initiierten Schutzimpfungen zu einer baldigen Entlastung des Gesundheitswesens und darüber hinaus zu einer Verbesserung der Versorgung von Patienten mit Demenzerkrankungen führen. Doch bis dahin bleibt die Pandemie eine große Herausforderung und Belastung für Patienten mit Demenzerkrankungen, pflegende Angehörige und Behandler.

Folgen der COVID-19-Pandemie für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen

Menschen mit Suchterkrankungen sind in mehrfacher Hinsicht von der Pandemie beeinträchtigt. Bei den Betroffenen handelt es sich um eine oftmals marginalisierte und stigmatisierte Patientengruppe, die einen hohen Betreuungsbedarf aufweist, aber bereits unter regulären Bedingungen teils nur begrenzt, einen dem Störungsbild angemessenen Zugang zum medizinischen Hilfesystem erhält bzw. Hilfe in Anspruch nehmen kann [31]. Zudem gehören Menschen mit Suchterkrankungen aufgrund der hohen Krankheitslast durch Komorbiditäten einer Risikogruppe mit erhöhtem Infektionsrisiko und ungünstiger Prognose im Falle einer COVID-19-Erkrankung an [32].

Alkohol, Tabak, Cannabis

Psychosoziale Stressoren, ausgelöst und/oder verstärkt durch längere soziale Isolierung infolge von Kontaktbeschränkungen, stellen Risikofaktoren für erhöhten Substanzkonsum dar und können bei Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen zu erhöhtem Craving mit Rückfallrisiko führen. Umgekehrt sind Konsumsteigerungen selbst ebenfalls mit negativen Auswirkungen auf physiologische Stressreaktionen verbunden, woraus wechselseitig negative Konsequenzen resultieren [33]. Erste Untersuchungen der Lockdownfolgen auf den Suchtmittelkonsum (Alkohol, Tabak, Cannabinoide) in Deutschland und Belgien deuten auf eine moderate Zunahme des Substanzkonsums im Rahmen von Kontaktbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen hin [34, 35].

Erhebungen weisen auf eine leichte Konsumzunahme von Alkohol und Tabak hin

In einer anonymen Onlinebefragung während der Kontaktbeschränkungen im Frühjahr 2020 gaben von über 2000 Teilnehmern über ein Drittel der Befragten an, seit Lockdownbeginn mehr zu trinken, knapp 20 % tranken weniger und 8 % tranken keinen Alkohol [34]. In einer vergleichbaren Web-basierten Erhebung in Belgien an über 3600 Personen zeigten Vanderbruggen et al. eine geringe, aber signifikante Zunahme des Alkohol- und Zigarettenkonsums, wohingegen der Cannabiskonsum sich nicht signifikant veränderte. Die berichteten Motive des vermehrten Konsums waren Langeweile, Mangel an Sozialkontakten und Verlust der Tagesstruktur sowie Einsamkeit [35]. Neben diesen empirischen Befunden, die trotz methodischer Limitationen auf eine leichte Konsumzunahme in der Bevölkerung hinweisen, sind aus epidemiologischer Sicht grundsätzlich zwei Szenarien in Betracht zu ziehen [36]:

  • einerseits kann die Zunahme psychosozialer Stressoren in Kombination mit sozialer Isolierung und finanziellen Schwierigkeiten sowie Zukunftsunsicherheit gerade im Hinblick auf Alkohol zu einer Konsumzunahme führen,

  • andererseits können finanzielle Einschränkungen, Kontaktbeschränkungen und Trinkverbote in der Öffentlichkeit auch gegenteilige Auswirkungen haben [36].

Illegale Drogen

Die Auswirkung von Kontaktbeschränkungen und „social distancing“ auf den Konsum illegaler Drogen wurde von der Europäischen Monitoringstelle für Drogen und Drogenabhängigkeit (EMCDDA) im Juni 2020 untersucht. Insgesamt zeigte sich während der ersten Monate der Pandemie im Frühjahr 2020 eine Abnahme des Drogenkonsums, der mutmaßlich auf Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Drogenszene und eine Abnahme der Verfügbarkeit verschiedener Substanzen zurückzuführen war [37].

Gerade im Lockdown ist der Zugang zu ausdifferenzierten Therapien entscheidend

Kontaktbeschränkungen und Angebotsverknappungen betrafen vor allem Hochrisikoopioidkonsumenten („high risk opioid users“), was einerseits zu riskanteren Konsumformen (synthetische Opioide wie Fentanyl, neue psychoaktive Substanzen) führen konnte oder zu einer zunehmenden Nachfrage nach einer niedrigschwelligen Substitutionsbehandlung. Letzteres wurde u. a. in Deutschland berichtet, auch dies wiederum möglicherweise als Folge einer reduzierten Verfügbarkeit illegalen Heroins auf dem Schwarzmarkt oder geringerer finanzieller Möglichkeiten. Gerade im Rahmen einer Pandemie mit Lockdown, Kontaktbeschränkungen sowie gravierenden wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen ist somit die Aufrechterhaltung ausdifferenzierter Therapieoptionen entscheidend [38, 39].

Neben allgemeinen sozialen, sozioökonomischen und medizinischen Auswirkungen sind zusätzlich die spezifischen Gesundheitskrisen der Konsumenten legaler oder illegaler Drogen im Hinblick auf die Folgen einer Infektion mit SARS-CoV‑2 zu berücksichtigen. Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen haben nicht nur aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung begrenzten Zugang zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung, sondern sind zusätzlich durch psychische und somatische Komorbidität belastet, die direkt oder indirekt die Suszeptibilität für Infektionserkrankungen erhöhen und die Prognose insgesamt verschlechtern [40].

Risiken für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen

Eine gravierende gesundheitliche Pandemiefolge für Menschen mit Suchterkrankungen stellt die erhöhte Infektanfälligkeit dar. Diese kann sich aus suchtassoziierten Verhaltensmustern ergeben, die wiederum durch die oben geschilderten psychosozialen Folgen der Pandemie verstärkt werden können. Menschen mit Suchterkrankungen erleben im Rahmen von Craving Kontrollverlust und enthemmtes Verhalten, das mit geringerem Selbstschutz bzw. Gesundheitsvorsorge und daraus bedingtem erhöhtem Ansteckungsrisiko verbunden sein kann [38, 41, 42]. Darüber hinaus weisen Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen ein hohes Komorbiditätsrisiko auf, wie z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Lungenerkrankungen und andere Infektionserkrankungen, die den Verlauf und Prognose einer COVID-19-Erkrankung ungünstig beeinflussen können [5, 43].

Neben den komorbiden somatischen Erkrankungen können Substanzkonsumstörungen auch zu einer Beeinträchtigung des Immunsystems führen, z. B. durch Beeinflussung proinflammatorischer Zytokine (Alkohol, Nikotin), immunmodulatorischer bzw. immunsuppressiver Effekte (Cannabidiol, Tetrahydrocannabinol) oder Beeinflussung der HPA(Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden)-Stressachse (Opioide, Stimulanzien). Im Hinblick auf eine Infektion mit SARS-CoV‑2 und der Entwicklung von COVID-19 ist ebenfalls hervorzuheben, dass viele psychotrope Substanzen die Blut-Hirn-Schranken-Permeabilität beeinflussen und dadurch möglicherweise die neurotropen Effekte von SARS-CoV‑2 und somit die Prognose einer COVID-19-Erkrankung ungünstig beeinflussen ([44]; Tab. 1).

Tab. 1 Substanzkonsum und Risikofaktoren für bzw. bei COVID-19. (Mod. nach [35])

Opioidabhängigkeit und Substitutionstherapie

Die Substitutionsbehandlung ist weltweit anerkannt die Therapie der Wahl bei Menschen mit Opioidabhängigkeit, setzt aber dauerhaft verlässliche Rahmenbedingungen voraus [39, 45]. Bei der oben ausgeführten vulnerablen Gruppe der Personen mit Opioidabhängigkeit in Substitutionstherapie stellt das Vermeiden pandemieassoziierter Therapieabbrüche eine zentrale Herausforderung dar. Dies wurde in Deutschland von Institutionen, Behörden und Kostenträgern frühzeitig erkannt und in der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung vom 20.04.2020 berücksichtigt. Auf dieser gesetzlichen Grundlage wurden strukturelle und konzeputelle Anpassungen der Substitutionsbehandlung an Folgen und Auswirkungen der Pandemie ermöglicht [39].

Telemedizin

Telemedizinische Angebote erleichtern die Betreuung der Patienten außerhalb regulärer Zeiten und ermöglichen einen sicheren Zugang zu Beratungsangeboten. Während der Lockdownphasen wurden vielerorts telemedizinische Angebote diskutiert und technische Voraussetzungen hierfür geschaffen. Hierdurch ließen sich Kontakte reduzieren und zumindest die psychosoziale Betreuung der Betroffenen sicherstellen. Auch mit diesem Ansatz konnten stabil auf ein Substitut eingestellte Personen bei Ausweitung der Take-home-Vergabe adäquat betreut werden. Dennoch ist eine Vielzahl technologischer Herausforderungen und Hürden zu berücksichtigen. Gerade in der Substitutionstherapie erfordern Sorgfaltspflicht, Aufrechterhaltung von Qualität und Sicherheit und nicht zuletzt die gesetzlichen Vorgaben (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung) nach wie vor auch persönliche Kontakte [46].

Fazit für die Praxis

  • Die psychosozialen Auswirkungen der COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie betreffen vor allem die Gruppe hochvulnerabler Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenie, kognitiven Störungen und Demenzerkrankungen sowie Abhängigkeitserkrankungen.

  • Die Pandemie hat nicht nur Auswirkungen auf die Versorgungssituation von Menschen mit einer Schizophrenie, sondern auch auf ihre Psychopharmakotherapie (z. B. Clozapin).

  • Diese vulnerable Patientenkohorte weist ein erhöhtes Infektionsrisiko und auch ein erhöhtes Risiko für schwere Erkrankungsverläufe auf.

  • Häufig treten bei Patienten mit kognitiven Störungen neuropsychiatrische Komplikationen wie Insomnie, Depression, Kopfschmerzen und zunehmende kognitive Defizite auf.

  • Insbesondere das Alter und die Demenz vom Alzheimer-Typ sind bedeutsame Mortalitätsfaktoren einer SARS-CoV-2(„severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“)-Infektion.

  • Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen sind häufig durch somatische Komorbiditäten belastet, die direkt oder indirekt die Suszeptibilität für Infektionserkrankungen erhöhen und die Prognose insgesamt verschlechtern.