Für eine normale Alveolarstruktur und -funktion ist die Senkung der intraalveolären Oberflächenspannung zwingend erforderlich. Das geschieht durch die Produktion und Sekretion von sog. Surfactant, das in den Typ-II-Zellen in den Alveolen direkt gebildet wird. Eine Vielzahl von experimentellen Untersuchungen hat seit langem gezeigt, dass bei Lungenschädigungen, etwa durch inhalativ-toxische Gase, die Surfactantsubstanzen sich in Zusammensetzung und Funktion ändern [1]. Beim ARDS sind Veränderungen des Surfactants schon in den ersten Publikationen [2] diskutiert und später nachgewiesen worden [3, 4]. Allerdings kennen wir bisher beim Erwachsenen kein einheitliches Krankheitsbild, das allein auf ein Fehlen oder eine Fehlfunktion von pulmonalem Surfactant zurückgeführt werden kann. Demgegenüber kennt die Pädiatrie im Atemnotsyndrom des Frühgeborenen einen Zustand, der auf die Unreife der Lunge mit Fehlen von Surfactant zurückgeführt werden kann und erfolgreich mit der Substitution dieser Substanzen behandelt wird.

Weder das klinische noch das röntgenologische Bild der Lunge bei COVID-19 ist identisch mit einer üblichen Pneumonie und auch die Gewebeveränderungen sind unterschiedlich. Neben den vaskulären Veränderungen [5] ist eine deutliche Vermehrung der Typ-II-Pneumozyten zu beobachten. Diese sind die Hauptträger der Virusreplikation und bei Viruskrankheiten viel häufiger als Typ-I-Zellen befallen [6]. Aufgrund der experimentellen Daten (s. a. [7]) dürfte die Surfactantproduktion beeinträchtigt sein, wie das experimentell bei vielen Lungenschäden gezeigt wurde. Das Resultat einer Surfactantdysfunktion wäre ein Alveolarkollaps. Meiner Auffassung nach zeigen die Röntgenbilder der Lungen eine Konsolidierung, also einen Gewebekollaps. Bei einer üblichen Pneumonie kommt es zu einer Exsudation von Entzündungszellen in die Alveolen und zu einer Infiltration mit Gewebevermehrung. Im Übrigen sind bei einer Pneumonie die Alveolarwände kaum betroffen.

Obwohl die publizierten Ergebnisse der histologischen Untersuchungen noch nicht sehr umfangreich sind und auch nicht einheitlich, zeigen doch fast alle Beschreibungen eine Vermehrung bzw. eine Proliferation der Typ-II-Zellen [5, 8, 9]. Man kann spekulieren, ob die vaskulären Veränderungen zu einer Substratverarmung der Typ-II-Zellen führen. Experimentell konnte gezeigt werden, dass eine pulmonale Mikroembolisierung zu einer Synthesereduktion von Lecithin und Verminderung des Palmitateinbaus führt, Befunde die auf eine Störung des Surfactantsystems hindeuten [10]. Denkbar ist auch, dass das Virus die Produktion von Surfactant auf zellulärem Niveau stört bzw. unterbricht. Daten dazu liegen nicht vor.

Die britische RECOVERY-Studie mit Dexamethason [11] könnte auch für eine Rolle des Surfactantsystems sprechen, denn Steroide regen die Surfactantproduktion an. Kortison ist Standard in der Betreuung der Frühgeborenen.

Beurteilt man die publizierten Befunde der Lungenveränderungen bei COVID-19, drängt sich die Rolle einer Surfactantschädigung als pathogenetisches Prinzip geradezu auf. Bisher ist das allerdings in der Literatur noch nicht diskutiert worden. Meiner Auffassung nach könnte die Analyse dieser Mechanismen sowohl für das pathogenetische Verständnis wie auch für mögliche therapeutische Ansätze sehr hilfreich sein.