FormalPara Originalliteratur

Lopers RD, Melo de Barros e Silva PG, Furtado RHM et al on the behalf of the ACTION Coalition COVID-19 BRAZIL IV Investigators (2021) Therapeutic versus prophylactic anticoagulation for patients admitted to hospital with COVID-19 and elevated D‑dimer concentration (ACTION): an open-label, multicentre, randomised, controlled trial. Lancet 397:2253–2263. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01203-4

Severe-acute-respiratory-syndrome-coronavirus-2(SARS-CoV-2)-Infektionen gehen mit einem höheren Risiko thrombotischer Komplikationen einher als andere bronchopulmonale Erkrankungen, zudem scheinen thrombotische Komplikationen mit einem schlechteren Verlauf der Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Erkrankung zu korrelieren. Ungeklärt ist jedoch, ob eine therapeutische Antikoagulation einen positiven Effekt auf den Verlauf der Erkrankung hat.

Ziel der im Folgenden vorgestellten Studie war es, Effektivität und Sicherheit therapeutischer vs. prophylaktischer antikoagulativer Strategien bei hospitalisierten COVID-19-Patienten mit erhöhtem D‑Dimer-Spiegel zu zeigen.

Zusammenfassung der Studie

Studiendesign

Offene, randomisierte, kontrollierte Multicenterstudie an 31 Kliniken in Brasilien mit einer 30-tägigen Therapiedauer

Einschlusskriterien

  • Hospitalisierte COVID-19-Patienten (≥ 18 Jahre) mit erhöhter D‑Dimer-Konzentration, die bis zu 14 Tage vor der Randomisierung COVID-19-Symptome aufwiesen

Ausschlusskriterien

  • Indikation für therapeutische Antikoagulation

  • Kontraindikation für Rivaroxaban oder Heparin bzw. Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko

Endpunkte

Primär

  • Wirksamkeitsendpunkt: kombinierter Endpunkt aus Tod, Dauer des Krankenhausaufenthalts oder Dauer der zusätzlichen Sauerstoffzufuhr bis zum 30. Tag, analysiert mit der Win-ratio-Methode

  • Sicherheitsendpunkt: schwere oder klinisch relevante nicht schwerwiegende Blutung über 30 Tage

Sekundär

  • Venöse Thromboembolie, akuter Myokardinfarkt, Schlaganfall, systemische Embolie und schwere unerwünschte Ereignisse an den Gliedmaßen mit und ohne Tod

  • Dauer einer Sauerstofftherapie, nichtinvasiven bzw. invasiven Beatmung

  • Krankheitsprogression

  • Rehospitalisierung

Methodik

Es wurden 615 Patienten randomisiert. Von diesen erhielten 311 eine therapeutische Antikoagulation für 30 Tage und 304 eine prophylaktische bis zur Krankenhausentlassung.

  • Therapeutische Antikoagulation: Rivaroxaban 20 mg/Tag p.o. im Krankenhaus bei stabilen Patienten oder initiales Enoxaparin 1 mg/kg 2‑mal täglich s.c. oder unfraktioniertes Heparin i.v. (Ziel-Anti-Xa-Konzentration: 0,3–0,7 IE/ml bzw. 1,5- bis 2,5-fache partielle Thromboplastinzeit) bei klinisch instabilen PatientenFootnote 1, gefolgt von Rivaroxaban bis zum 30. Tag

  • Prophylaktische Antikoagulation: Enoxaparin oder unfraktioniertes Heparin nach Klinikstandard bis zur Krankenhausentlassung

Bis zur Krankenhausentlassung wurden die Patienten täglich visitiert, nach Entlassung erfolgte an Tag 30 eine telefonische Befragung der Patienten hinsichtlich des Studienoutcomes und nach 60 Tagen zur Therapiesicherheit.

Ergebnisse

Die Patienten waren durchschnittlich 56,6 Jahre alt; 60 % waren Männer und der durchschnittliche Body-Mass-Index betrug 30,3 kg/m2. Häufigste Komorbiditäten waren Hypertonie und Diabetes mellitus. Die COVID-19-Symptome bestanden bei Randomisierung durchschnittlich 10 Tage, die Krankenhausaufnahme fand nach durchschnittlich 8 Tagen statt. Eine Sauerstoffapplikation erhielten drei Viertel der Patienten, eine invasive Beatmung war bei 6 % notwendig. Bei Randomisierung erhielten 91 % der Patienten eine Antikoagulation, 59 % in der Standardprophylaxedosierung. Kortikoide erhielten 83 % der Patienten. Bei 27 % der Patienten war die D‑Dimer-Konzentration mindestens 3‑mal so hoch wie der obere Normwert.

Der primäre Wirksamkeitsendpunkt wurde in der therapeutischen Gruppe von 34,8 % der Patienten erreicht und in der prophylaktischen Gruppe von 41,3 %Footnote 2 (Win-Verhältnis 0,86; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,59–1,22; p = 0,40) – unabhängig davon, ob es sich um klinisch stabile oder instabile Patienten handelte.

Keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Therapieschemata konnten bei thrombotischen Ereignissen gezeigt werden (7 % vs. 10 %; relatives Risiko 0,75, 95 %-KI 0,45–1,26; p = 0,32). Hinsichtlich der 8‑Punkte-Skala der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an Tag 30, der Krankheitsprogression an Tag 7, 15 und 30 sowie der Dauer der invasiven Beatmung wurden ebenfalls keine Unterschiede zwischen den Gruppen beschrieben.

Der primäre Sicherheitsendpunkt einer schweren oder klinisch relevanten nichtschweren Blutung trat bei 26 (8 %) Patienten unter therapeutischer Antikoagulation und bei 7 (2 %) unter prophylaktischer Antikoagulation auf (relatives Risiko 3,64; 95 %-KI 1,61–8,27; p = 0,001). Allergische Reaktionen zeigten 2 (1 %) Patienten der therapeutischen Antikoagulationsgruppe und 3 (1 %) der prophylaktischen Antikoagulationsgruppe.

Bei Kombination der Effektivitäts- und Sicherheitsendpunkte (thrombotisches Ereignis, Tod, schwere oder klinisch relevante Blutung) konnte bei 18 % der Patienten der therapeutischen Antikoagulationsgruppe und bei 15 % der prophylaktischen Antikoagulationsgruppe kein Vorteil gezeigt werden (relatives Risiko 1,17; 95 %-KI 0,82–1,66; p = 0,45).

Exkurs: REMAP-CAP und ATTACC

Offene, randomisierte, kontrollierte Studien zur Evaluation antikoagulativer Strategien bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 [4, 5]. 2219 Patienten mit moderater und 1098 Patienten mit intensivpflichtiger COVID-19-Erkrankung erhielten eine prophylaktische oder eine therapeutische Antikoagulation mit Heparin. Der primäre Endpunkt, die Tage ohne Organunterstützung, wurde mit einer Ordinalskala evaluiert, auf der das Versterben während des Klinikaufenthalts mit der Zahl der Tage ohne Organunterstützung bis Tag 21 erfasst wurde. Ohne Organunterstützung überlebten 80,2 % der Patienten mit moderatem Verlauf, die eine therapeutische Antikoagulation erhielten, und 76,4 % der Patienten mit moderatem Verlauf, die eine prophylaktische Antikoagulation erhielten (Odds Ratio 1,27). Anders bei den Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf: Die Patienten, die eine therapeutische Antikoagulation erhielten, hatten nur einen organunterstützungsfreien Tag, während die Patienten unter prophylaktischer Antikoagulation 4 organunterstützungsfreie Tage aufwiesen (Odds Ratio 0,83). Schwere Blutungen traten unter therapeutischer Antikoagulation bei 1,9 % der moderat erkrankten und 3,8 % der schwer erkrankten Patienten auf, unter prophylaktischer Antikoagulation bei 0,9 % bzw. 2,3 %. Insgesamt kann eine therapeutische Heparinisierung den Verlauf bei COVID-19-Patienten mit moderatem Erkrankungsverlauf positiv beeinflussen, bei Patienten mit intensivpflichtigem Verlauf jedoch nicht.

Take home message

Standard der Thromboseprophylaxe bei schwerer SARS-CoV-2-Infektion bleiben Heparine (niedermolekulares Heparin/unfraktioniertes Heparin) in prophylaktischer Dosierung. Bei Patienten mit Organdysfunktionen wird die kontrollierte Erprobung multimodaler Konzepte zur Hemmung der Thromboinflammation fortgeführt.

Kommentar

Die schwere SARS-CoV-2-Infektion ist durch eine multisystemische Manifestation charakterisiert, wobei die begleitende Koagulopathie eine zentrale Rolle in deren Pathogenese spielt. Das Auftreten venöser und arterieller Thrombosen, die zu Störungen der Makro- wie auch der Mikrozirkulation führen können, steht in enger Assoziation mit Erkrankungsschwere und Mortalitätsrisiko. Die Stratifizierung des koagulopathischen Risikos und die individuelle Anpassung der Antikoagulation haben daher in der Akutbehandlung eine zentrale Bedeutung. Insbesondere die lokalisierte Thrombosierung mit spezifischen histologischen und pathobiochemischen Mustern von Endothelialitis, Alveolitis und Mikroangiopathien prägt das Krankheitsgeschehen als Folge des bidirektionalen Pathomechanismus zwischen Inflammations- und Gerinnungssystem. Birocchi et al. wählten daher den Begriff der pulmonalarteriellen Okklusion, um eine Abgrenzung von der Genese der Embolisierung in die Lungenstrombahn bei idiopathischer venöser Thromboembolie vorzunehmen [1, 2].

Mit Initiierung der ACTION-Studie bestand die Hoffnung, dass sich die für die Antikoagulation mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) vorbeschriebenen antiinflammatorischen und endothelprotektiven Effekte positiv auf das Outcome bei COVID-19-Erkrankten auswirken und sich damit ein auf den Pathomechanismus ausgerichteter Behandlungsansatz ergibt [3]. Die ACTION-Studie konnte allerdings keinen signifikanten Effekt einer therapeutisch dosierten spezifischen Xa-Inhibition oder einer therapeutischen Enoxaparingabe auf das Outcome zeigen. Die Daten der mittlerweile veröffentlichten ATTACC-Studie demonstrieren hingegen einen Überlebensvorteil für hospitalisierte, therapeutisch mit Heparin antikoagulierte Patienten ohne organunterstützende Verfahren (vs. prophylaktisches niedermolekulares Heparin), sodass insbesondere die frühzeitige Unterbrechung der COVID-spezifischen Pathogenese zielführend zu sein scheint [4]. Patientenkohorten mit bereits relevanter Organdysfunktion profitieren jedoch nicht von einer therapeutischen Antikoagulation [5]. Hier wären möglicherweise wissenschaftliche Untersuchungen eines multimodalen Ansatzes der Hemmung von Inflammation und Hämostaseaktivierung (Thrombozytenhemmung, Hemmung der Komplementaktivierung, Unterstützung der ADAMTS13-Aktivität) unter Berücksichtigung einer individuellen Stratifizierung des jeweiligen Thrombose- bzw. Blutungsrisikos zielführend.