Das Spektrum der Nierenbeteiligung bei einer COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Erkrankung reicht von subklinischen Urinauffälligkeiten bis zum schweren dialysepflichtigen Nierenversagen.

Prognostisch bedeutsam: frühe Nierenbeteiligung bei SARS-CoV-2

Mehrere Studien konnten zeigen, dass viele der zuvor nierengesunden Patienten bereits zu Beginn einer COVID-19-Erkrankung eine Nierenbeteiligung mit Nachweis einer Albuminurie (und/oder Hämaturie) aufweisen [1, 2]. Diese frühen Zeichen einer Nierenbeteiligung sind für den weiteren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung prognostisch bedeutsam [3]: So verschlechtert eine Nierenbeteiligung bei COVID-19 das Patienten-Outcome dramatisch und erhöht die Mortalität bis um das 10-Fache [4, 5].

Akute Nierenschädigung – eine Folge der SARS-CoV-2-Infektion?

Das Auftreten einer akuten Nierenschädigung ist ein unabhängiger Prädiktor für die Mortalität bei COVID-19-Patienten [2, 6]. Sie ist alles andere als selten: In großen Beobachtungsstudien entwickelten 5–50 % der hospitalisierten Patienten mit COVID-19 eine akute Nierenschädigung unterschiedlichen Schweregrads [7, 8]. In großen Kohortenstudien aus den USA lag der Anteil der Patienten mit akutem dialysepflichtigen Nierenversagen sogar bei 5–20 % [5]. Unter den intensivpflichtigen Patienten entwickelten sogar fast zwei Drittel ein akutes Nierenversagen, von denen 25–45 % eine Dialysetherapie benötigten [6]. Diese Daten wurden durch Registerstudien aus anderen Ländern bestätigt. Eine Auswertung der Daten von über 10.000 AOK(Allgemeine Ortskrankenkasse)-versicherten Patienten aus über 900 deutschen Krankenhäusern, zeigte, dass allein 27 % der beatmungspflichtigen COVID-19-Patienten während des Krankenhausaufenthalts ein dialysepflichtiges akutes Nierenversagen entwickelten [9].

Ob diese hohe Inzidenz an akutem Nierenversagen bei COVID-19 die Schwere der systemischen Erkrankung wiederspiegelt oder ob ein akutes Nierenversagen auch eine separate (von der Erkrankungsschwere) unabhängige Organmanifestation der SARS(„severe acute respiratory syndrome“)-CoV(„coronavirus“)-2-Infektion darstellen kann, ist Gegenstand aktueller intensiver Forschung.

Mögliche pathophysiologische Mechanismen

Mehrere Faktoren könnten bei COVID-19 in die Entwicklung einer Nierenbeteiligung involviert sein [10].

Der mit Abstand häufigste histopathologische Befund in den Nieren bei COVID-19-Erkrankten ist eine akute Tubulusnekrose im Bereich des proximalen Tubulus. Dieser Befund ist gut vereinbar mit der Hypothese, dass die Ursache des akuten Nierenversagens bei SARS-CoV‑2 in der generellen Erkrankungsschwere mit ihren hämodynamischen Veränderungen und der Zytokinfreisetzung zu finden ist. In einigen Fällen wurden, hierzu passend, auch Zeichen einer thrombotischen Mikroangiopathie gefunden. Zusätzliche weitere mögliche Faktoren, welche die Nierenschädigung triggern können, sind die Toxizität von Arzneimitteln und die häufig im Rahmen der Erkrankung beobachtete Rhabdomyolyse.

Derzeit wird diskutiert, inwieweit eine direkte Virusaffektion der Niere zur Pathogenese beiträgt

Eine derzeit stark diskutierte Frage ist, inwieweit eine direkte Virusaffektion der Niere zur Pathogenese beiträgt. So konnten in einzelnen Obduktionsstudien SARS-CoV-2-Antigene in menschlichen Nieren nachweisen werden [11,12,13,14].

Der hohe Nierentropismus von SARS-CoV‑2 kann z. T. durch die Affinität des Virus für membrangebundenes ACE2 („angiotensin-converting enzyme 2“) erklärt werden [15]. SARS-CoV‑2 nutzt ACE2 als „Türöffner“, um Zugang zu seinen Zielzellen zu erhalten [16, 17]. ACE2 wird v. a. von den Alveolarzellen in der Lunge exprimiert, aber auch in anderen Organen, darunter Nieren, Herz, Darm und Mund-Rachen-Raum (was den Eintritt des Virus in den Wirt erleichtert; [18]).

ACE-Hemmer und SARS-CoV-2

Aus den bisherigen epidemiologischen Daten geht hervor, dass über zwei Drittel der Patienten, die an COVID-19 starben, an Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen litten [19]. Die meisten dieser Patienten erhielten eine leitliniengerechte blutdrucksenkende Therapie mit ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorblockern (ARB). Diese beiden Medikamentengruppen sind in der Lage, die ACE2-Expression in der Niere und im Herzen um das 2‑ bis 5‑Fache zu erhöhen [20, 21]. Konsequenterweise kam schnell die Diskussion auf, ob der Einsatz dieser Medikamente Patienten anfälliger für eine SARS-CoV-2-Infektion macht und für schwerer verlaufende COVID-19-Erkrankungen prädisponiert [22].

Nach derzeitigem Wissensstand gibt es keine Belege für einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von ACE-Hemmern bzw. ARB und einem schweren COVID-19-Krankheitsverlauf [23, 24]. Einige große Studien und eine systematische Übersicht weisen auf keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme dieser Wirkstoffe und dem Schweregrad von COVID-19 hin [25,26,27,28,29], während andere Arbeiten sogar darauf hindeuten, dass ACE-Hemmer den Schweregrad der Erkrankung mildern könnten [30,31,32]. Dies wird auch von tierexperimentellen Studien gestützt, die in Summe zeigen, dass eine erhöhte ACE2-Expression während einer Coronavirusinfektion protektiv wirkt.

In den offiziellen Stellungnahmen der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC) wird daher empfohlen, die Blutdruckmedikamente bei Patienten mit einem Risiko für COVID-19 oder bei Patienten, bei denen bereits COVID-19 diagnostiziert wurde, nach Möglichkeit nicht zu verändern.

Chronische Nierenkrankheit und SARS-CoV-2

Obwohl die verfügbaren epidemiologischen Daten bestätigt haben, dass das akute Nierenversagen einer der Hauptrisikofaktoren für die Prognose einer COVID-19-Erkrankung ist, sind die möglichen Auswirkungen von COVID-19 auf Patienten, die von anderen Nierenerkrankungen betroffen sind, in dieser Phase der Pandemie noch unklar. V. a. Patienten mit terminaler Nierenerkrankung sind aufgrund des oft höheren Alters und der hohen Häufigkeit von Komorbiditäten wie Diabetes und Bluthochdruck anfällig für eine schwer verlaufende COVID-19-Erkrankung [33].

Angesichts von COVID-19 werden v. a. Dialysezentren vor besondere Herausforderungen gestellt. Als Hilfestellung haben die nationalen und internationalen Fachgesellschaften vorläufige Richtlinien herausgegeben [34].

Was wir bisher über den Verlauf von COVID-19 bei Patienten an der Hämodialyse wissen, geht auf Beobachtungen zurück, die den Verlauf des Krankheitsausbruchs in einem einzigen Hämodialysezentrum im Renmin-Krankenhaus der Universität Wuhan untersuchten. In diesem Zentrum gab es insgesamt 37 Fälle von COVID-19 bei 230 Hämodialysepatienten und 4 Fälle bei 33 Mitarbeitern. Bei den meisten Patienten waren die COVID-19-Symptome mild, und es wurden keine Patienten auf die Intensivstationen eingewiesen. Während der Epidemie starben 7 Hämodialysepatienten, darunter 6 mit COVID-19-Erkrankung. Die Todesursachen standen offenbar nicht im Zusammenhang mit einer Lungenentzündung. Die Analyse von peripheren Blutproben der an COVID-19 erkrankten Hämodialysepatienten zeigte eine bemerkenswerte Verringerung der Anzahl von T‑Zellen, T‑Helfer-Zellen, Killer-T-Zellen und natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) sowie niedrigere Serumspiegel von proinflammatorischen Zytokinen im Vergleich zu Nichthämodialysepatienten mit COVID-19. Zusammenfassend berichtete diese Studie, dass Hämodialysepatienten mit COVID-19 wahrscheinlich eine leichte Erkrankung erleiden, die sich nicht zu einer ausgewachsenen Lungenentzündung entwickelt, was wahrscheinlich auf die reduzierte Funktion des Immunsystems und die geringere Zytokinfreisetzung zurückzuführen ist. Dieser Bericht stellt jedoch auch dar, dass Hämodialysepatienten per se einem hohen Risiko ausgesetzt sind, sich mit SARS-CoV‑2 zu infizieren, und dass zusätzliche Präventionsmaßnahmen für das Management der Epidemie in Hämodialysezentren unerlässlich sind.

COVID-19 und immunkompromittierte Patienten

Im Hinblick auf COVID-19 und Patienten unter immunsuppressiver Therapie bei nephrologischen Erkrankungen gibt es wenige Daten. Analog zu anderen Infektionskrankheiten ist aber davon auszugehen, dass sowohl nierentransplantierte Patienten als auch Patienten unter immunsuppressiver Medikation aufgrund von Autoimmunerkrankungen ein höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben. Als behandelnder Arzt wird man zwangsläufig vor die Frage gestellt, ob eine immunsuppressive Therapie initiiert bzw. fortgesetzt werden kann oder, falls möglich, besser verschoben wird. Dabei ist immer das Risiko einer verstärkten Immunsuppression oder Hyperinflammation gegenüber der Prognoseverschlechterung der zugrunde liegenden Erkrankung abzuwägen. Wirkliche Evidenz gibt es bisher noch nicht. Die aktuellen Empfehlungen basieren auf Experteneinschätzungen der Fachgesellschaften und der hoffentlich raschen Verarbeitung von Evidenzen aus Registerstudien wie beispielsweise den europäischen Registern ERACODE (The ERA-EDTA COVID-19 Database For Patients on Dialysis Or Living With A Kidney Transplant) und LEOSS (Lean European Open Survey on SARS-CoV‑2 Infected Patients). In letzterem waren Ende Mai 51 transplantierte SARS-CoV-2-infizierte Patienten registriert, 27 davon waren nieren- und 4 Patienten nieren- und pankreastransplantiert. 85 % der transplantierten Patienten aus dem LEOSS-Register waren länger als 1 Jahr transplantiert. Jeder vierte Patient hatte einen kritischen Verlauf, und jeder zehnte verstarb. Diese Fallmortalität liegt damit deutlich höher als die COVID-19-Mortalität in der Normalbevölkerung.

Transplantierte Personen sind als Hochrisikogruppe besonders zu schützen

Es ist mit Nachdruck zu betonen, dass transplantierte Personen keinen vermeidbaren Infektionsrisiken auszusetzen und als Hochrisikogruppe besonders zu schützen sind.

Aus In-vitro-Studien zu MERS(„Middle East respiratory syndrome“)-CoV und SARS-CoV ist bekannt, dass sowohl Cyclosporin als auch Mycophenolat-Mofetil (MMF) die virale Replikation hemmen [35]. Zwar gibt es keinen aktuellen Bericht über die Wirkung dieser Immunsuppressiva auf SARS-CoV‑2, ERA (European Renal Association) und EDTA (European Dialysis and Transplant Association) empfehlen aber dennoch, bei ambulanten, klinisch stabilen Patienten ohne Infektionszeichen die bestehende immunsuppressive Therapie nicht zu verändern. Tab. 1 fasst die aktuellen ERA-EDTA-Empfehlungen bezüglich der Umstellung der immunsuppressiven Therapie bei Patienten mit unterschiedlichen Schweregraden einer COVID-19-Erkrankung zusammen.

Tab. 1 Die aktuellen ERA(European Renal Association)/EDTA(European Dialysis and Transplant Association)-Empfehlungen bezüglich der Umstellung der immunsuppressiven Therapie bei Patienten mit unterschiedlichen Schweregraden einer COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Erkrankung

Potenzielle Nierenspender und SARS-CoV-2

Wie oben bereits beschrieben, haben Obduktionsstudien gezeigt, dass SARS-CoV‑2 in unterschiedlichen Organen nachweisbar ist. Eine infizierte Niere könnte daher als virales Reservoir fungieren. Zwar ist das Risiko einer Übertragung von COVID-19 durch Organspende gering, dennoch sollten potenzielle Nierenspender auf SARS-CoV‑2 untersucht werden. Darüber hinaus sollten Lebendspender, die Symptome zeigen oder in Hochrisikogebiete gereist sind, im Allgemeinen gebeten werden, die Spende um 14 bis 28 Tage aufzuschieben.

Medikamentöse Therapie der SARS-CoV-2-Infektion

Für die medikamentöse Therapie schwerer Verlaufsformen von COVID-19 (hospitalisierte Patienten) gibt es 2 Ansätze: antiviral und immunmodulatorisch.

Eine klinische Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie bei schwerer COVID-19-Erkrankung (hospitalisierte Patienten) ist bisher für Remdesivir und Dexamethason nachgewiesen. Remdesivir hat dabei als einzige Substanz in der Europäischen Union eine Zulassung erhalten. Im Hinblick auf nierenkranke Patienten ist jedoch zu beachten, dass Remdesivir nur bei einer glomerulären Fitrationsrate (GFR) von mehr als 30 ml/min/1,73 m2 zugelassen ist.

Mit einer Reihe von weiteren Kandidatensubstanzen laufen klinische Studien. Die fortlaufend aktualisierte Tabelle der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hilft klinisch tätigen Ärzten, den Überblick über die Vielzahl medikamentöser Therapieansätze zu behalten. Die Universität Liverpool hat eine Aufstellung wahrscheinlicher pharmakokinetischer Interaktionen von experimentellen COVID-19-Therapien veröffentlicht.

Fazit für die Praxis

  • Die Nieren sind bei COVID-19 („coronavirus disease 2019“) häufig beteiligt, und das akute Nierenversagen ist ein unabhängiger Prädiktor für die Mortalität.

  • Daher kommt der interdisziplinären Betreuung und der nephrologischen Nachsorge genesener COVID-19-Patienten eine entscheidende Bedeutung für das langfristige Patienten-Outcome zu.