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Es ist erstaunlich. So überraschend die COVID-19 Pandemie 2020 kam und wie dramatisch sie die ganze Weltbevölkerung in ihren Bann gezogen hat, so schnell scheint sie auch wieder vergessen zu sein. Daher ist es umso wichtiger, dass die drei Artikel in diesem kleinen Schwerpunkt in Der Nervenarzt zusammentragen, was wir über die psychischen Auswirkungen der Pandemie und die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung in dieser Zeit wissen und was wir daraus für die Vorbereitung auf zukünftige Pandemien lernen können.
Die gute Nachricht vorneweg: Auch in der Pandemie war Resilienz die häufigste Reaktion auf den massiven Stressor. Etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung war resilient, d. h. den meisten Menschen gelang es in dieser Zeit, ihre psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten. Sie zeigten keine schwerwiegende Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens oder reagierten mit rascher Rückkehr zum Ausgangsniveau nach anfänglicher Beeinträchtigung. Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass gerade in den Gruppen, die auch so schon stärker von psychischen Belastungen betroffen sind, die Auswirkungen besonders bedeutsam waren. Dazu gehören etwa Kinder und Jugendliche, Frauen, Alleinerziehende, Menschen mit niedrigerem soziökonomischem und niedrigerem Bildungsstatus, Menschen in Heimen, Menschen mit körperlichen Vorerkrankungen und Betroffene von Long- bzw. Post-COVID. Diese Befunde sind stabil, und daher brauchen diese Zusammenhänge unsere besondere Aufmerksamkeit und müssen in Zukunft intensiver beforscht werden.
Weniger klar ist die Evidenzlage zu konkreten Auswirkungen der (einzelnen) Eindämmungsmaßnahmen während der Pandemie. So finden sich keine zuverlässigen Daten darüber, wie sich mehr oder weniger strenge Lockdowns auf die Verläufe der psychischen Gesundheit ausgewirkt haben. Eher besorgniserregend sind folgende Beobachtungen: Während sich die psychischen Belastungssymptome während der Pandemie nach Abflauen der hohen Infektionszahlen in der Regel wieder abschwächten, gibt es Hinweise, dass sich bei Kindern und Jugendlichen möglicherweise depressive und Angstsymptome auf einem hohen Niveau halten könnten. Hier ist weitere Forschung notwendig, um die Ursachen zu verstehen, Risikofaktoren zu identifizieren und herauszuarbeiten, welche Rolle die Kombination mit anderen Krisen (wie Kriege) und Zukunftsängsten spielt. In diesem Kontext müssen wir die psychische Gesundheit in repräsentativen Kohorten der deutschen Bevölkerung zukünftig kontinuierlich monitoren („mental health surveillance“).
Viele Versorgungsangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen während der Pandemie, insbesondere während der Lockdowns, waren deutlich eingeschränkt worden. Dies betraf die ambulanten Kontakte mit Hausärzten, Psychiaterinnen und Psychotherapeuten und im Besonderen die zur Verfügung stehenden teilstationären und stationären Kapazitäten. Leidtragende waren neben den akut Erkrankten insbesondere solche mit chronischem Verlauf. Die Langzeitfolgen sind bisher unklar. Der Ausbau internetbasierter Angebote in den Praxen und Kliniken und neue Nutzungskonzepte für schwer psychisch kranke Menschen, die oft wenig Zugang zu modernen Informationstechnologien haben, sind notwendig. Dieser Ausbau wird aber für die am schwersten betroffenen Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht genügen, hier muss auch in Krisen der persönliche Kontakt weiter sichergestellt werden.
Um gut auf künftige Krisenlagen vorbereitet zu sein, bedarf es eines interdisziplinären Zusammenwirkens
Für die Vorbereitung auf zukünftige Pandemien, im englischen auch „pandemic preparedness“ bezeichnet, macht es Sinn, sich wesentliche ursächliche Faktoren für die psychischen Belastungen nochmals zu vergegenwärtigen: gesundheitsbezogene Ängste, finanzielle Sorgen, beengte Wohnverhältnisse während des Lockdowns sowie der Verlust sozialer Kontakte bzw. der Übergang zu virtuellen sozialen Verbindungen. Um gut auf ähnliche zukünftige Krisenlagen vorbereitet zu sein, bedarf es eines interdisziplinären Zusammenwirkens unter Mitwirkung betroffener Personengruppen zur Schaffung geeigneter Monitoring‑, Forschungs- und Transferstrukturen, in denen Forschende, entscheidungstragende Institutionen und anderweitige Stakeholder eng kooperieren und schnell reagieren. Pandemiemanagement muss viel mehr als nur Infektionsschutzaspekte berücksichtigen. Ein Beispiel für ein Netzwerk, das solche interdisziplinären Ansätze zur Vorbereitung auf zukünftige Pandemien erarbeitet, ist das Netzwerk Pandemic Preparedness – One Health, One Future der Leibniz-Gemeinschaft.
Die Pandemie hat auch gezeigt, wie komplex politisches Handeln ist. Man denke nur an die Schulschließungen und die schwierige Abwägung von Infektionsschutz und drohenden Lerndefiziten. Die Wissenschaftlerinnen sind gut beraten, ihr Wissen immer als vorläufig und nie als faktische Wahrheit zu kommunizieren. Es wird daher auch bei zukünftigen Pandemien nicht eine größere Zahl von Wissenschaftlern in der Politik brauchen, sondern Politikerinnen, die wissenschaftliche Erkenntnisse wie die, die hier zusammengestellt wurden, aufnehmen und mit den Faktoren, die außerhalb der wissenschaftlichen Praxis liegen, zu Lösungen für unser Land zusammenführen. Auch das zeigen die Artikel: Es sind vorläufige Momentaufnahmen, die Forschung geht weiter.
Prof. Dr. Klaus Lieb,
Prof. Dr. Dr. Frank Schneider
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Interessenkonflikt
Prof. Dr. Klaus Lieb ist Mitglied in der Steuerungsgruppe des Leibniz Labs Pandemic Preparedness. F. Schneider gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Lieb, K., Schneider, F. Einführung zum Thema: Was haben wir über die Effekte der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit und die psychiatrische Versorgung für die Vorbereitung auf zukünftige Pandemien gelernt?. Nervenarzt 96, 255–256 (2025). https://doi.org/10.1007/s00115-025-01825-7
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