Die weltweite Pandemie mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2), das die COVID-19-Erkrankung verursacht [28], führte im Jahr 2020 nicht nur zu einer großen Belastung des deutschen Gesundheitssystems, sondern ergab auch eine deutliche Veränderung des gesellschaftlichen Lebens der Bevölkerung durch epidemiebedingte Maßnahmen. Diese Maßnahmen hatten zum Ziel, eine Ausbreitung der Viruserkrankung zu verhindern. So wurden im März 2020 durch die Bundesregierung umfassende Maßnahmen erlassen, die zu Einschränkungen des öffentlichen Lebens führten (Bund-Länder-Vereinbarung: Leitlinien gegen Ausbreitung des Coronavirus; [8]). Auch in den Krankenhäusern wurden vielfältige Maßnahmen ergriffen, um auf das erhöhte Patientenaufkommen von COVID-19-Erkrankten vorbereitet zu sein. Unter anderem wurden elektive Behandlungen von Patienten vorerst ausgesetzt, um mehr Kapazitäten für die Notfallversorgung zur Verfügung zu stellen [7]. Gleichzeitig zeigte sich eine deutlich höhere Auslastung der deutschen Intensivstationen durch die erforderliche intensivmedizinische Behandlung von COVID-19-Erkrankten ([9, 19]; Abb. 1). Insbesondere die Einschränkungen des öffentlichen Lebens lassen vermuten, dass aufgrund der veränderten Mobilität der Gesellschaft eine Veränderung der Unfallursachen von Schwerverletzten in Deutschland eintrat [25]. Gleichzeitig führten insbesondere die Kontaktbeschränkungen zu einer psychischen Belastung der Gesellschaft, sodass gegebenenfalls Veränderungen der Häufigkeit von Körperverletzung, Selbstverletzungen und Suizidversuchen auftraten [22]. So soll mit dieser retrospektiven Registeranalyse des TraumaRegisters DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie analysiert werden, inwieweit sich durch die verhängten Maßnahmen die Epidemiologie und Unfallursachen von Schwerverletzten veränderten. Weiterhin wurde untersucht, ob es zu einer Veränderung der Mortalität der Schwerverletzten in den deutschen Kliniken, zum Beispiel durch das pandemiebedingt erhöhte Patientenaufkommen, kam. Gleichzeitig wurde dargestellt, wie sich die Unfallmechanismen im Untersuchungszeitraum, während der COVID-19-Pandemie, verändert haben und ob ein Zusammenhang zwischen der jeweiligen Inzidenz von COVID-19-Erkrankungen (Infektionswellen) und der Traumaepidemiologie bestand.

Abb. 1
figure 1

Anzahl COVID-19-Patienten (Erwachsene) auf deutschen Intensivstationen (DIVI-Intensivregister; [4])

Material und Methodik

In dieser Studie führten wir eine retrospektive Registeranalyse des TraumaRegisters DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (TR-DGU) durch.

Das TraumaRegister DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie wurde 1993 gegründet. Ziel dieser multizentrischen Datenbank ist eine pseudonymisierte und standardisierte Dokumentation von Schwerverletzten.

Die Daten im TraumaRegister DGU® werden prospektiv in vier aufeinanderfolgenden Phasen gesammelt:

  1. A.

    Prähospitale Phase

  2. B.

    Schockraum und anschließende OP-Phase

  3. C.

    Intensivstation

  4. D.

    Entlassung

Die Dokumentation beinhaltet detaillierte Informationen über Demografie, Verletzungsmuster, Komorbiditäten, prähospitales und klinisches Management, intensivmedizinischen Verlauf, wichtige Laborbefunde einschließlich Transfusionsdaten sowie das Outcome. Das Einschlusskriterium ist die Aufnahme in das Krankenhaus über den Schockraum mit anschließender Intensiv- oder IMC-Überwachung oder die Ankunft in der Klinik mit Vitalzeichen und Versterben vor Aufnahme auf die Intensivstation.

Die Infrastruktur für Dokumentation, Datenmanagement und Datenanalyse wird von der AUC – Akademie der Unfallchirurgie GmbH, welche der DGU angegliedert ist, bereitgestellt. Die wissenschaftliche Führung liegt bei der Sektion Notfall‑, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung der DGU (Sektion NIS). Über eine webbasierte Anwendung geben die teilnehmenden Kliniken ihre pseudonymisierten Daten in eine zentrale Datenbank ein. Wissenschaftliche Auswertungen werden nach einem Reviewverfahren der Sektion NIS genehmigt.

Die teilnehmenden Kliniken sind primär in Deutschland (90 %) lokalisiert, aber eine zunehmende Anzahl von Kliniken aus anderen Ländern trägt ebenfalls Daten bei (zz. aus Österreich, Belgien, China, Finnland, Luxemburg, Slowenien, Schweiz, Niederlande und den Vereinigten Arabische Emiraten). Derzeit fließen jährlich über 38.000 Fälle von knapp 700 Kliniken in die Datenbank ein. In dieser Analyse wurden ausschließlich die Daten der deutschen teilnehmenden Kliniken ausgewertet.

Die Beteiligung am TraumaRegister DGU® ist freiwillig. Für die dem TraumaNetzwerk DGU® zugehörigen Kliniken ist zumindest die Eingabe eines Basisdatensatzes zur Qualitätssicherung verpflichtend. Etwa die Hälfte aller Fälle wird jedoch mit dem Standarddatensatz erfasst.

Als Untersuchungszeitraum wurde das erste COVID-19-Pandemiejahr 2020 festgelegt. Als Vergleichsgruppe wurden die Jahre 2018/2019 herangezogen. Eingeschlossen wurden alle im TraumaRegister DGU® erfassten Patienten. Weitere Ausschlusskriterien wurden bewusst nicht definiert, um die Gesamtepidemiologie erfassen zu können. Um eine Vergleichbarkeit der Verletzungsschwere beider Gruppen zu haben, wurde der Injury Severity Score (ISS) angegeben. Zusätzlich wurde der prozentuale Anteil der Verletzten mit einer Abbreviated Injury Scale (AIS) > 3 bezüglich Kopfverletzungen und Thoraxverletzungen betrachtet. Neben allgemeinen epidemiologischen Daten (u. a. Alter, Geschlecht) wurde insbesondere der Unfallhergang analysiert. Der Unfallhergang wurde unterteilt in Auto, Motorrad, Fahrrad, Fußgänger, Stürze aus großer (> 3 m) oder niedriger (< 3 m) Höhe und Sonstige. Hierbei erfolgte zum einen eine Auswertung der gesamten Fallzahlen des Untersuchungszeitraums 2020 und zum anderen eine Unteranalyse einzelner Jahresabschnitte, angepasst an die COVID-19-Inzidenz in Deutschland. So wurde das Jahr 2020 in vier Abschnitte unterteilt:

  1. 1.

    Präpandemie (Kalenderwoche 1–9)

  2. 2.

    Infektionswelle 1 (Kalenderwoche 10–20)

  3. 3.

    Erholungsphase (Kalenderwoche 21–39)

  4. 4.

    Infektionswelle 2 (Kalenderwoche 40–53)

Die korrespondierenden Zeiträume wurden in den Jahren 2018/2019 als Vergleichsgruppe genutzt.

Weiterhin wurde die Veränderung der Fallzahlen der Traumapatienten, die durch äußere Einflussfaktoren beeinflusst wurden, analysiert. So wurden die Traumapatienten mit Assoziation zu Suizidversuchen, Gewalteinwirkung und Alkoholeinfluss im Jahresverlauf verglichen. Es erfolgte zudem eine Analyse der verwendeten örtlichen und zeitlichen Krankenhausressourcen (Aufteilung der Behandlung in Traumazentren nach Level 1–3, Zuweisungszeitpunkt: nächtliche Zuweisung, Zuweisung am Wochenende). Hinsichtlich des Outcomes der Patienten wurde die Mortalität während des Krankenhausaufenthalts ermittelt und mit dem entsprechenden Jahresabschnitt der Vorjahre 2018/2019 verglichen.

Statistische Analyse

Die statistische Auswertung erfolgte deskriptiv mittels SPSS® (Version 26, IBM Inc., Armonk, NY, USA). Die Darstellung erfolgt mit Fallzahl und Prozenten bzw. Mittelwerten und Standardabweichung (SA). Auf statistische Tests zum Vergleich der beiden Zeiträume wurde bewusst verzichtet, da durch die großen Fallzahlen selbst kleine Unterschiede formal signifikant würden. Nur ausgewählte Prävalenzen wurden mit Fishers Exaktem Test verglichen. Für die Darstellung von zeitlichen Verläufen im Coronajahr wurden gleitende Mittelwerte von jeweils drei aufeinanderfolgenden Kalenderwochen gebildet, um wöchentliche Schwankungen zu minimieren.

Die vorliegende Studie folgt der aktuellen Publikationsrichtlinie des TraumaRegisters DGU® und ist registriert als TR-DGU-Projekt-ID 2020-057.

Ergebnisse

Allgemeine Daten

Insgesamt konnten 71.943 Patienten in die Analyse eingeschlossen werden (Untersuchungsgruppe 2020: 23.036 Patienten; Vergleichsgruppe 2018/2019: 48.907 Patienten). Das Alter der Patienten war vergleichbar mit 54,6 Jahren (2020) vs. 53,5 Jahren (2018/2019); ein Unterschied in der Geschlechterverteilung bestand nicht (Tab. 1). Weiterhin konnte kein Unterschied in der Aufteilung bezogen auf die Zuweisung in Traumazentren nach Level 1–3 festgestellt werden (Tab. 1). Der ISS zeigte sich in beiden Gruppen annähernd gleich (2020: 17,6 vs. 2018/2019: 17,3), sodass eine durchschnittlich vergleichbare Verletzungsschwere vorlag. Ebenso konnte kein relevanter Unterschied bezogen auf den AIS > 3 Kopf (2020: 33,0 % vs. 2018/2019: 31,8 %) und AIS > 3 Thorax (2020: 38,2 % vs. 2018/2019: 37,2 %) festgestellt werden.

Tab. 1 Patientenepidemiologie und Verletzungsschwere im Jahresvergleich 2020 zu 2018/2019

Unfallhergang

Die Betrachtung des Unfallhergangs ergab eine prozentuale Reduktion an Pkw-assoziiertem Trauma (2020: 17,2 % vs. 2018/2019: 20,7 %; Abb. 2). Bezogen auf die einzelnen Jahresabschnitte trat insbesondere weniger Pkw-assoziiertes Trauma während der Infektionswelle 1 auf. Diese Reduktion verblieb ebenfalls in der Erholungsphase und der Infektionswelle 2 (Abb. 3). Die absoluten Fallzahlen bezogen auf die Kalenderwochen bestätigen die deutliche Reduktion von Pkw-assoziiertem Trauma während der Infektionswelle 1 (Abb. 4). Gleichzeitig zeigt sich eine Zunahme des fahrradassoziierten Traumas (2020: 13,1 % vs. 2018/2019: 10,4 %, Abb. 2). Diesbezüglich ist eine deutliche Zunahme während der Infektionswelle 1 und der Erholungsphase zu erkennen (Abb. 3).

Abb. 2
figure 2

Unfallhergang im Jahresvergleich 2020 zu 2018/2019 (prozentuale Verteilung)

Abb. 3
figure 3

Unteranalyse der a Pkw- und b Fahrradunfälle bezogen auf die einzelnen Jahresabschnitte

Abb. 4
figure 4

Darstellung der Pkw-assoziierten Traumafälle (absolute Fallzahlen) bezogen auf die Kalenderwochen

Bei den weiteren Gruppen (Motorrad: 2020: 12,5 % vs. 2018/2019: 12,8 %; Fußgänger: 4,3 % vs. 5,2 %; Sturz aus großer Höhe: 15,6 % vs. 14,8 %; Sturz aus niedriger Höhe: 27,4 % vs. 26,1 %; Sonstige: 9,9 % vs. 9,9 %) konnte kein wesentlicher Unterschied festgestellt werden.

Insgesamt zeigte sich eine leichte Reduktion der verkehrsassoziierten Traumapatienten im Coronajahr (2020: 48,6 % vs. 2018/2019: 50,5 %).

Äußere Einflussfaktoren

Die Zahl der Opfer eines Suizidversuchs nahm im Jahr 2020 leicht zu (4,6 % vs. 4,1 %, p = 0,014). Insbesondere in der Infektionswelle 1 zeigt sich eine Zunahme suizidassoziierter Traumata (2020: 5,1 % vs. 2018/2019: 4,2 %, p = 0,011); diese Zunahme kann auch in den darauffolgenden Jahresabschnitten 2020 festgestellt werden (Tab. 2).

Tab. 2 Suizid- und gewaltassoziiertes Trauma im Jahresvergleich

Hingegen kann kein wesentlicher Unterschied bei dem Anteil der Traumapatienten festgestellt werden, die aufgrund äußerer Gewalteinwirkung (z. B. Körperverletzung) verletzt wurden (Tab. 2).

Der Anteil der Traumapatienten, die unter Alkoholeinfluss verunfallten, nahm im Jahr 2020 deutlich ab. So zeigte sich insgesamt eine Reduktion von 22,3 % in 2018/2019 auf 19,3 % in 2020 (Tab. 3). Insbesondere während der 2. Infektionswelle zeigte sich eine Reduktion um fast 6 %. Auch bei den Traumapatienten im Rahmen von Verkehrsunfällen wurde die Fallzahl von Patienten mit Alkoholeinfluss reduziert. Stürze (hoch und niedrig) unter Alkoholeinfluss wurden ebenfalls als Traumaursache im Jahr 2020 deutlich weniger registriert (Tab. 3).

Tab. 3 Einfluss von Alkoholeinfluss auf den Unfallhergang bei Traumapatienten im Jahresvergleich

Versorgungsdaten

Zur Analyse der Krankenhausressourcen wurde neben der Aufteilung auf die verschiedenen Level der Traumazentren (s. oben) der Zeitpunkt der Zuweisung ausgewertet. Bezogen auf die nächtliche Zuweisung von Traumapatienten konnte kein Unterschied festgestellt werden (2020: 36,2 % vs. 2018/2019: 36,7 %). Ebenso zeigte sich kein Unterschied am Anteil der Patienten, die am Wochenende in ein Traumazentrum zugewiesen wurden (2020: 43,3 % vs. 2018/2019: 44,0 %). Bezüglich der Sterblichkeit konnte eine Zunahme von Patienten, die im Krankenhaus verstorben sind, festgestellt werden (2020: 11,5 % vs. 2018/2019: 10,3 %, p = 0,001). Insbesondere in der Infektionswelle 2 gab es eine Zunahme der Mortalität im Krankenhaus um 2,6 % (Abb. 5). Eine Veränderung in der Krankenhausverweildauer oder der Verweildauer auf der Intensivstation konnte nicht festgestellt werden (Tab. 1).

Abb. 5
figure 5

Mortalität im Jahresvergleich (verstorben im Krankenhaus)

Diskussion

In verschiedenen Studien konnte bereits ein Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Behandlungsanlässe in Notaufnahmen festgestellt werden [6, 17, 23]. Diese Registerstudie mit Daten des TraumaRegisters DGU® zeigt, dass auch in der Schwerverletztenversorgung Veränderungen, insbesondere hinsichtlich des Unfallhergangs, eingetreten sind. Die Studiengruppe (2020) zeigte sich epidemiologisch vergleichbar mit der Vergleichsgruppe der beiden Vorjahre 2018/2019. Ein Unterschied in der durchschnittlichen Verletzungsschwere bestand nicht (Tab. 1).

Insbesondere bei der Analyse des Unfallhergangs zeigte sich eine Reduktion der verkehrsbedingten Traumapatienten. Der prozentuale Anteil der Schwerverletzten durch Pkw-Unfälle nahm deutlich ab (Abb. 2). Bei Betrachtung der absoluten Anzahl von Traumapatienten durch Pkw-Unfälle im Jahresverlauf erkennt man eine deutliche Reduktion im Rahmen der Infektionswelle 1 (Abb. 4). Jedoch auch in der darauffolgenden Erholungsphase und der Infektionswelle 2 verbleibt eine prozentuale Reduktion der Traumapatienten, die bei einem Pkw-Unfall verunfallten. Im Rahmen der am 16.03.2020 verabschiedeten „Leitlinien gegen Ausbreitung des Coronavirus“ [8] wurden intensive Maßnahmen beschlossen, um Kontakte zu beschränken und damit eine Übertragung des SARS-CoV-2-Virus einzudämmen. Diese Maßnahmen zielten insbesondere auf die Beschränkung des öffentlichen Lebens ab und beinhalteten unter anderem die Schließung von Museen, Bars und Fitnessstudios [8]. Diese Einschränkungen führten zu einer insgesamt reduzierten Mobilität der Gesellschaft und erklären somit auch die Abnahme der verkehrsbedingten Schwerverletzten. Zudem wurde für viele Arbeitsplätze die Möglichkeit des Homeoffice angeboten, was erklärt, weshalb auch in der Erholungsphase der Anteil der Traumapatienten durch Pkw-Unfall geringer ausfällt als in den Vorjahren.

Gleichzeitig kam es insbesondere während der Infektionswelle 1 und der Erholungsphase im Sommer zu einer deutlichen Zunahme der Traumapatienten durch Fahrradunfälle (Abb. 3). In einer repräsentativen Interviewstudie des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (3039 Teilnehmer) gaben 25 % der Teilnehmer an, mehr Fahrrad gefahren zu sein als im Vorjahr. Die drei Hauptgründe waren hierfür: 1. Fitness erhalten (85 %), Ersatz für andere Freizeitaktivitäten (75 %), zeitweiliges Entkommen aus der häuslichen Enge (71 %; [3]). Diese beschriebene absolute Zunahme der Fahrradnutzung spiegelt sich somit auch in dem Anteil der Traumapatienten wider, die bei einem Fahrradunfall verunfallten, jedoch konnte durch diese Verschiebung des Unfallhergangs keine generelle Veränderung der Verletzungsschwere (ISS) beobachtet werden. Zusätzlich konnte sich eine hypothetisch angenommene Zunahme der schweren Kopfverletzungen (AIS Kopf > 3) anhand der vorliegenden Daten nicht bestätigen.

Bei Betrachtung der Schwerverletzten im Rahmen eines Suizidversuchs kann nur eine geringe Zunahme des prozentualen Anteils, insbesondere während der Infektionswelle 1, festgestellt werden. Aufgrund der unter anderem weitreichenden Einschränkungen und Kontaktbeschränkungen während der COVID-19-Pandemie wird eine relevante Auswirkung auf die psychische Gesundheit bei Kindern und Erwachsenen vermutet [22]. Bereits in der Vergangenheit haben verschiedene Studien den Zusammenhang von Pandemien und einem erhöhten Auftreten von Suiziden analysiert [5, 24]. So ist anzunehmen, dass der prozentual erhöhte Anteil von suizidbedingten Traumapatienten durch eine insgesamt höhere Anzahl von Suiziden bedingt ist. Limitierend ist, dass hierbei nur die Suizidversuche eingeschlossen werden können, ohne direkte Todesfolge. Yan et al. konnten jedoch in einer Metaanalyse ebenfalls zeigen, dass es während der COVID-19-Pandemie eine Zunahme der Suizidversuche gab [26].

Bei den Traumapatienten, die durch körperliche Gewalt verletzt wurden, konnte kein relevanter Unterschied zu den Vorjahren festgestellt werden. Verschiedene Studien belegen, dass es insbesondere zu vermehrt häuslicher Gewalt seit der COVID-19-Pandemie kam [18, 21]. Da in dieser Untersuchung eine Analyse von schwer verletzten Traumapatienten vorgenommen wurde, kann nur eine eingeschränkte Aussage für die gesamtheitliche Entwicklung der gewaltbedingten Verletzungen getroffen werden, da beispielsweise Bagatellverletzungen (z. B. Prellungen) nicht erfasst wurden.

Durch die einschränkenden Maßnahmen des öffentlichen Lebens [8] und insbesondere Schließungen von Gaststätten/Bars kann ein insgesamt niedrigerer öffentlicher Alkoholkonsum angenommen werden. Da Alkoholeinfluss unter anderem einen Einfluss auf das Verletzungsmuster von schwer verletzten Patienten hat [4], wurde analysiert, ob es auch eine veränderte Häufigkeit von durch Alkohol beeinflusstem Trauma während der COVID-19-Pandemie gab. Die deutliche Reduktion von Trauma unter Alkoholeinfluss, insbesondere während der Infektionswelle 2 (Tab. 3), zeigt, dass die getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus einen relevanten Einfluss auf das Konsumverhalten bezüglich Alkohol hatten.

Dahingegen konnte kein Unterschied festgestellt werden, was die nächtliche Zuweisung in ein Traumazentrum angeht, welche aufgrund der gesellschaftlichen Einschränkungen und damit auch des Nachtlebens erwartbar gewesen wäre. Bezüglich der nächtlichen Zuweisung herrscht in der Literatur Uneinigkeit, ob diese mit einem schlechteren Outcome einhergeht. Barbosa et al. konnten einen Zusammenhang von nächtlicher Aufnahme von Traumapatienten und einer höheren Mortalität feststellen [1]. Andere Studien konnten diesen Effekt hingegen nicht belegen [13, 27].

Weiterhin wird in der Literatur ein Effekt von Zuweisung von Traumapatienten am Wochenende und einem möglichen schlechteren Outcome diskutiert. Verschiedene Studien zeigten, dass trotz einer geringeren Personalstärke keine erhöhte Mortalität bei Traumapatienten mit Zuweisung am Wochenende bestand [10, 15]. In unserer Analyse konnten wir keinen Unterschied der prozentualen Zuweisungszahlen am Wochenende feststellen.

Bezüglich der Mortalität konnte bei gleichem mittlerem ISS eine leichte Zunahme festgestellt werden. Während der COVID-19-Pandemie zeigte sich eine deutlich erhöhte Auslastung der Intensivkapazitäten durch die Behandlung von COVID-19-Patienten. Personelle und strukturelle Ressourcen mussten verschoben werden, um die Intensivkapazitäten zu steigern, was teilweise dazu führte, dass weniger qualifiziertes Personal zur Verfügung stand und die Ressourcen begrenzt waren [11, 14]. Morgan et al. konnten zeigen, dass beispielsweise der kindliche innerklinische Herz-Kreislauf-Stillstand im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie mit einem schlechteren funktionellen Outcome einherging [16]. Insbesondere kam es während der Infektionswellen (Abb. 5) zu einer Zunahme der Mortalität. In den letzten Jahren konnte eine sukzessive Reduktion der Mortalität erreicht werden [20]. Bieler et al. konnten in einer Matched-pair-Analyse zeigen, dass verschiedene patientenbezogene, aber auch versorgungsabhängige Faktoren eine Rolle spielen in der Mortalität beim schweren Trauma [2]. Da die Mortalität beim schweren Trauma somit multifaktoriell bedingt ist, kann auf Grundlage der vorliegenden Daten keine abschließende Begründung für die Zunahme der Mortalität genannt werden.

Limitationen

Im Rahmen der Datenerfassung im Traumaregister wurde erst ab der zweiten Jahreshälfte 2020 eine Erfassungsmöglichkeit des Infektionsstatus von COVID-19 der Traumapatienten etabliert. Somit ist keine Aussage auf Grundlage der Registerdaten möglich, ob eine COVID-19-Infektion zum Zeitpunkt des Traumas vorlag. Da die Datenschutzgrundverordnung eine Einwilligung der Patienten für die Erfassung ihrer Daten im Traumaregister erforderlich macht, können die Daten von nichteinwilligungsfähigen Patienten nicht im Traumaregister erfasst werden. Dies kann zu einer Verzerrung der epidemiologischen Daten führen [12].

Fazit für die Praxis

  • Die COVID-19-Pandemie hatte im ersten Pandemiejahr 2020 verglichen mit den beiden Vorjahren einen Einfluss insbesondere auf den Unfallhergang bei Traumapatienten.

  • So konnte eine prozentuale Abnahme von Pkw-bedingtem Trauma und eine gleichzeitige Zunahme von fahrradbedingtem Trauma beobachtet werden.

  • Zusätzlich kam es zu einer Reduktion von Traumapatienten unter Alkoholeinfluss.

  • Bei gleicher durchschnittlicher Verletzungsschwere konnte eine leichte Zunahme der Mortalität beobachtet werden.

  • Weitere Studien sind erforderlich, um detailliert die Verletzungsmuster und insbesondere die präklinischen und innerklinischen Versorgungsparameter zu analysieren, um eine mögliche Veränderung der Versorgungsprozesse von Traumapatienten während der COVID-19-Pandemie zu verstehen.